Polizist zwischen zwei Stühlen

„Hard Revolution“: George Pelecanos erzählt vom amerikanischen Alltagsrassismus der 1960er Jahre und einem jungen Schwarzen, der trotzdem seinen Weg geht.
Die USA erlebten nach dem Mordanschlag auf Martin Luther King in Memphis eine der schlimmsten Nächte ihrer Geschichte“, berichtete die österreichische Zeitung „Die Presse“ im April 1968. Und weiter: „In mindestens 20 Städten, vom New Yorker Stadtteil Harlem bis zur Küste Kaliforniens, ergossen sich aus den Vierteln der farbigen Bevölkerung Ströme wutentbrannter Neger, die brandschatzend und plündernd durch die Straßen zogen und der Polizei mit Schußwaffen und Steinen blutige Schlachten lieferten.“
Mit einer natürlich – auch sprachlich – weit differenzierteren Beschreibung dieser Tage des Zorns in Washington, D.C. endet eindrucksvoll „Hard Revolution“, ein Kriminalroman des griechischstämmigen amerikanischen Autors George Pelecanos.
Was damals in der US-Hauptstadt geschah, die Brandschatzungen, Plünderungen, auch die (vergeblichen) Versuche Einzelner, zu Gewaltfreiheit aufzurufen, spiegelt Pelecanos vor allem durch die Figur eines jungen schwarzen Polizisten. Derek Strange versucht das Richtige zu tun, ist sich aber keineswegs sicher, was im Hinblick auf „seine Leute“ das Richtige ist.
Der Roman wechselt Perspektiven, verzahnt diverse Handlungsstränge – Pelecanos hat unter anderem schon Drehbücher für die komplexe TV-Serie „The Wire“ geschrieben –, doch die Familie Strange bildet nach und nach das Zentrum. Darius arbeitet in einem Diner als Koch, Alethea ist Putzfrau bei Frank und Olga Vaughn.
Polizist Frank ist der Meinung, dass eigentlich „keine Seite mit der anderen verkehren“ will. Olga möchte Alethea einerseits das Gefühl geben, zur Familie zu gehören, lädt sie darum stets ein, mittags mit ihnen zu essen. Doch dann stellt sie das Geschirr der schwarzen Frau extra ab, um es „gründlicher zu reinigen als den Rest“ (Alethea bemerkt es wohl).
Autos und Musik
Die Söhne der Stranges, Dennis und Derek, kommen sehr unterschiedlich mit dem Leben zurecht: Dennis, der Ältere, nimmt Tabletten und Drogen, dealt ein bisschen, hängt mit Kumpels rum, die schlimmer sind als er. Derek aber trifft, als er als Junge einmal klaut, auf einen Warenhausbesitzer, der ihm eine zweite Chance gibt, ihn einfach nach Hause schickt. Derek Strange nimmt die Chance an.
Pelecanos zeichnet auch die Alltagskultur der 50er und 60er Jahre minutiös nach. Die jungen Männer definieren sich nicht in erster Linie über Klamotten, sondern über Autos und Musik. Modell-Bezeichnungen wie „ein 64er Plymouth“ reihen sich, Musiker-Namen fallen zuhauf. Elvis zum Beispiel ist der, der nach Meinung der Älteren singt „wie ein vollgedröhntes Ofenrohr“. In der Mitte des Romans ziehen sich solche Details ein bisschen, dann gewinnt das Buch wieder an Rasanz und Brisanz.
Denn die weißen wie die schwarzen Verbrecher (Pelecanos verteilt das ziemlich gerecht) bringen sich in Stellung. Die Weißen haben zum Spaß einen jungen Schwarzen überfahren und wollen nun eine Bank überfallen, um sich absetzen zu können – nachdem sie begriffen haben, dass die Polizei in Gestalt von Frank Vaughn tatsächlich wegen Mordes ermitteln wird. Die Schwarzen, mit denen Dennis Strange sich eingelassen hat, wollen einen Laden überfallen – und rächen sich, nachdem sie begriffen haben, dass er den Ladenbesitzer gewarnt hat. Blut fließt nun hier und da.
Und dann läuft ein Junge im Stadtteil Shaw eine Straße entlang und ruft: „Sie haben Dr. King umgebracht!“ Der keineswegs fiktive Bürgerrechtler Stokely Carmichael und seine Leute zwingen Läden, Kinos, Theater zu schließen. Aber das ist ja in Ordnung. Bis der erste einen Stein in ein Schaufenster wirft, bis es aus Frust und Wut kein Halten mehr gibt.