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Die große portugiesische Reise

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Von: Steffen Herrmann

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Fischerboot in Monte Gordo.
Fischerboot in Monte Gordo. © imago images/Findlay Rankin

Der Reporter Paulo Moura auf der Strecke von Caminha bis Monte Gordo.

Ein Mann am Ende seines Lebens. Domingos Teixeira, 71, der im Grunde nichts anderes war als ein Pförtner, steht vor seinem kleinen Haus am Rande des Werftgeländes in Sao Jacinto, das er all die Jahre bewachte – und von dem nichts geblieben ist außer Ruinen.

Was der Beginn eines Romans sein könnte oder einer Biografie, ist eine von vielen Episoden, die der Portugiese Paulo Moura in „Ferner Westen“ zusammengetragen hat. Der Journalist, eigentlich Kriegsberichterstatter, erkundet in der Reportage seine Heimat und reist rund 1000 Kilometer von Caminha bis Monte Gordo entlang der portugiesischen Küste. Auf dem Rücken eines Motorrads, in den Taschen ein Zelt und ein Notizblock. „Es ist eine wundersame, unvergessliche Reise“, schreibt Moura in der Einleitung. „Geruhsam wie der Flug der Störche und nervös wie das Auf und Ab der Raubtiere entlang der Gitterstäbe. Es ist die große portugiesische Reise. Man kann sie einmal im Leben machen oder ein Leben lang; aber man muss sie gemacht haben.“

Die Geschichte des alten Pförtners

Während seiner Reise sammelt Moura Geschichten: des Landes und Meeres, der Städte und Dörfer, seiner Menschen. Geschichte wie jene des alten Pförtners Teixeira, der – durch einen Arbeitsunfall selbst zur Ruine geworden – die verfallene Werft am Rande des Meeres bewacht. Das Haus bekam er einst von seinem Arbeitgeber gestellt. Die Werft gab ihm Arbeit, eine Unterkunft, eine Krankenversicherung und seinen Kindern eine Ausbildung. Als sie 2006 geschlossen wurde, weil sie nicht mit der Effizienz und den Preisen der asiatischen Konkurrenz mithalten konnte, ist Teixeira geblieben. Wo sollte er auch hin? Arbeit ist knapp im Niemandsland zwischen Porto und Lissabon.

Das Buch

Paulo Moura: Ferner Westen. Eine Reise entlang der portugiesischen Küste. A. d. Portug. v. Kirsten Brandt. mare 2022. 288 S., 24 Euro.

„Seinen Posten aufzugeben, hieße, eine Welt aufzugeben und zu verleugnen, die er sein Leben lang bewacht hat. Der hektischen Betriebsamkeit der Werft den Rücken zu kehren, wäre für ihn schlimmer gewesen als der Tod. Und tatsächlich hat diese Betriebsamkeit nie aufgehört, nur ist sie jetzt von anderer Art und anderem Wesen, und auch die Protagonisten haben gewechselt.“

Als die Werftarbeiter weg waren, kamen die Schrotthändler, und nach ihnen die Plünderer. Domingos Teixeira sah seine Werft verschwinden. Möbel und Maschinen, Stahl und Holz, Steine, ein 1500 Kilo schwerer Safe, zuletzt die Eisenträger. Heute lebt der Pförtner am Rande einer Ruine, und trotzdem, schreibt Moura, „hat Domingos sein Haus nie verlassen. Von der Werft ist nichts geblieben außer dem Pförtner, der zugleich ihr Zeuge und Geschichtsschreiber ist.“

Spannende Einblicke in eine oft fremde Welt

Moura gibt spannende Einblicke in eine oft fremde Welt: ein kleiner Landstreifen am Rande des Kontinents, nicht nur geografisch weit von Deutschland entfernt, mit seinen Hippies und Kommunen, konservativen Campern und kulturbegeisterten Stadtmenschen; eine Bevölkerung, die lange in bitterer Armut lebte und bis heute davon gezeichnet ist. Noch in den 1960ern war es so schlimm, dass es Tausende von der Algarve nach Marokko oder Tunesien zog. „Die Frauen arbeiteten in den Konservenfabriken, die Männer als Fischer auf Booten oder an den Stellnetzen für den Thunfisch. Ganze Familien bauten sich in Nordafrika eine neue Existenz auf, und auch heute gibt es an der Algarve Menschen, die Arabisch sprechen und sich eher als Marokkaner denn als Portugiesen fühlen.“

Paulo Moura, Jahrgang 1959, ist neben seiner journalistischen Tätigkeit für die Tageszeitung „Publico“ Professor für Kommunikation und Medien in Lissabon. Seine Arbeit am „Fernen Westen“ begann Moura 2015, damals noch als Zeitungsbeilage. Das Publikum ist zunächst also das portugiesische, die Sprache anfangs journalistisch streng, etwa wenn auf Quellen verwiesen wird, fließt mit dem Lauf der Reise aber schnell freier.

Wem Portugal wirklich ein ferner Westen ist, den könnte hier und da die Vielzahl der fremdklingenden Inseln und Städten überfordern, an denen der Autor auf seinem Motorrad vorbeirauscht. Und trotzdem lohnt sie sich auch für deutsche Leserinnen und Leser, die große portugiesische Reise. (Steffen Herrmann)

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