Ottessa Moshfegh „Lapvona“: Für sie sieht alles gleich aus

Ottessa Moshfegh dreht mit „Lapvona“ ihr Schreiben der Grausamkeit noch höher.
Ein Herrscher, klein, dünn, hässlich, der Tag für Tag nichts anderes will, als mit Albernheiten unterhalten zu werden, damit er sich nicht langweilt. Eine taffe, verschlagene Magd, die auf Rache sinnt für Demütigungen. Ein Hirte, dem nur seine Lämmer etwas bedeuten und der seinen verwachsenen, schwachen Sohn verachtet. Dieser ist außerdem dumm und aus einer Vergewaltigung entstanden. Ein Pater, der versoffen, verfressen, geil und scheinheilig ist. Eine blinde alte Amme, an deren Brust ausgelutschte Brüste baumeln und die in diesem bösen Märchen die Hexe ist. Sie kennt sich mit Kräutern aus, sie versteht die Sprache der Vögel, sie lebt einsam, fern von Nachbarn. „Als sie die Vögel fragte, was sie tun sollte, antworteten sie, mit Liebe würden sie sich nicht auskennen; Liebe sei ein spezifisch menschlicher Defekt, den Gott als Gegengewicht zur menschlichen Habgier geschaffen habe.“ Das Sterben der anderen scheint sie zu nähren, verjüngt sie.
Sie heißen Villiam und Lispeth, Jude und Marek, Barnabas und Ina, leben in einem fiktiven (osteuropäischen?) Fürstentum namens Lapvona, die Zeit könnte das Mittelalter sein – und sie brauchen nach dem Willen ihrer Schöpferin, der 1981 in Boston geborenen Otessa Moshfegh, von Liebe nun wirklich nichts zu verstehen. Die einen – Villiam in seiner Burg, Pater Barnabas als heuchlerische Made im Speck – kommen mit Gleichgültigkeit und Skrupellosigkeit durch. Die anderen – Villiams Steuern zahlende Untergebene – können beides auch ganz gut gebrauchen, damit sie die Hölle, in der sie leben, eine Weile aushalten.
Mit „McGlue“ (2014), einem stilistischen Teufelsritt auf dem Rücken eines versoffenen, gewalttätigen, halluzinierenden Matrosen wurde Ottessa Moshfegh schlagartig bekannt. Körpersäfte, Gestank, Schmerzen – alles musste raus in mächtigen Sätzen. Jetzt bietet die Schriftstellerin erneut alles Grauen und allen Ekel dieser Welt – und legt noch eine Schippe drauf an Blut, Kot und Sperma (wie „kaltes Gift“ ergießt es sich), Gewalt und Grausamkeit, schließlich Kannibalismus, im Detail. „Er hob Klims Hand am kleinen Finger hoch und warf sie drinnen aufs Feuer. Jude hörte, wie die Haut brutzelte.“
Ein Jahr vergeht in „Lapvona“, ein Jahr, in dem („Frühling“) Marek den mit ihm befreundeten Fürstensohn Jacob umbringt, sein Vater den toten Jungen zu Villiam schleppt – „Jacob hing mit steifem Hals kopfüber nach unten, und sein heraushängender Augapfel wippte bei jedem Schritt auf und ab“ –, Villiam umstandlos Marek als Ersatz für seinen Sohn nimmt, Marek sich („Sommer“) einlebt in Müßiggang und Völlerei, während am Fuße des Burgbergs, am Ufer des geschrumpften Sees die Menschen krepieren, weil es seit Monaten nicht geregnet hat. Sie beginnen sich gegenseitig aufzufressen.
Das Buch:
Ottessa Moshfegh: Lapvona. Roman. A. d. Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin 2023. 336 S., 26 Euro.
Im Abschnitt „Herbst“ regnet es, die Leute reparieren geduldig ihre Häuser und schweigen, wie sie schon vorher geschwiegen haben. „,Als ob das Ganze nie passiert wäre‘, sagten sie und verloren kein Wort über die Menschen, die sie gegessen hatten, auch wenn das Fehlen bestimmter Familien sonntags bei der Messe deutlich ins Auge fiel“.
Schon vor „Lapvona“ war es Ottessa Moshfeghs Alleinstellungsmerkmal, der Leserin, dem Leser nichts zu ersparen. Kein Blatt vor den Mund zu nehmen, keine Drastik zu mindern. Dezenz war nichts für sie. Dabei ließ sie oft in der Schwebe, was davon sich nur im Kopf ihrer Figuren abspielen könnte. „Lapvona“ aber ist geradlinig erzählt, tatsächlich wie ein grausames Märchen. Die blinde Ina setzt sich neue Augen ein und sieht dann prima durch die Augen eines Pferdes. Villiam lässt seine Frau Dibra umbringen wie Blaubart. Der Bauernjunge Marek wird zuletzt Fürst. Mareks Mutter Agata wurde die Zunge herausgeschnitten. „Manchmal wurde sie rot, aber Marek konnte nicht feststellen, ob es Zornes- oder Schamesröte war, Hunger oder Liebe oder gar nichts. Für ihn sah alles gleich aus.“
Das ist im Kern auch das Problem des Romans: Für die Leserin sieht alles gleich aus. Die Figuren sind wie aus Papier geschnitten. Nie stellen sie sich Fragen. Sie werden von Gefühlen übermannt, manchmal, aber dann ist ihnen schon gleich wieder alles egal. Jude findet, sein Sohn gehört an den Galgen, auf sein Grab würde er spucken. Marek findet, sein Vater ist eine Memme und schlägt Villiam vor, ihn zum Stallknecht zu machen. In Lapvonas Welt gibt es keine Schönheit, kein Mitfühlen, keine Moral, kein Zaudern und Nachdenken, keine Liebe.
Zwar liest sich das Buch geschwind, auch nachdrücklich, denn an Sprachmacht fehlt es Ottessa Moshfegh nicht. Doch man liest es auch mit einer gewissen Hast, weil man auf diesen Sätzen, in diesen gnadenlosen Szenen um keinen Preis verweilen will. Und zuletzt muss man sich fragen, für was die Autorin hier ihr Können aufbietet, so komplett stellt sie es in den Dienst des Grotesken, brutal Krassen. Die Menschen (Menschen?) von Lapvona sind in ihrer Eindimensionalität so uninteressant, wie ihr Fürst Villiam jede und jeden findet, der keinen Witz erzählen, kein Tänzchen aufführen, nicht mit den Augen rollen kann. Na ja.