Oswald Wiener ist tot – Pionier des Cyberspace

Zum Tod von Oswald Wiener, Jazzmusiker, Schriftsteller, Kybernetiker, Sprachtheoretiker und Gastronom, ein Universalgenie der Wiener Avantgarde.
Besteht die Schönheit fließender Daten im bloßen Vorbeiziehen oder wird man ihrer erst gewahr, wenn es gelingt, die Daten anzuhalten? Einer, der, zumindest für sich selbst, Antworten auf derlei Fragen gesucht und oft auch gefunden hat, war das Wiener Universalgenie Oswald Wiener. Mit den Bezeichnungen Jazzmusiker, Schriftsteller, Kybernetiker, Sprachtheoretiker und Gastronom ist sein lebenslanges Betätigungsfeld nur unzureichend beschrieben. Dass er seine vielfältigen Interessen zu bündeln nicht gewillt war, zeigte sich schon zu Beginn der 50er-Jahre, als er in Wien, wo er 1935 geboren worden war, Rechtswissenschaft, Musikwissenschaft, afrikanische Sprachen und Mathematik studierte.
Zwischen 1954 und 1959 verdiente Wiener sein Geld als Trompeter in Walter Terharens Formation Wirkliche Jazzband, etwa zur gleichen Zeit schloss er sich auch der Wiener Gruppe um den Dichter H.C. Artmann an, zu der auch Konrad Bayer und Gerhard Rühm gehörten. Zum Wesensmerkmal der Wiener Avantgarde jener Jahre gehörte es wohl, den stets wachen, mitunter aber auch trägen Geist des Wiener Kaffeehauses in Schwingungen zu versetzen.
Künstlerische Kreativität war für Oswald Wiener nicht nur eine Pose oder Behauptung, und sein Mathematikstudium war mehr als bloß eine skurrile Ergänzung seiner frei flottierenden Neigungen. Von 1958 an arbeitete Oswald Wiener acht Jahre lang in leitender Stellung für den italienischen Büromaschinenhersteller Olivetti in der Datenverarbeitung. Sein intuitives Verständnis für die Prozesse der elektronischen Datenverarbeitung verknüpfte er dabei ganz unmittelbar mit seiner künstlerischen Neugier, und seine in den 60er Jahren betriebenen kognitionswissenschaftlichen Experimente gelten heute als Basisarbeiten zur Erforschung der Künstlichen Intelligenz.
Den nachhaltigsten Ausdruck haben seine Sprachforschungen in dem Anfang der 60er entstandenen Werk „die verbesserung von mitteleuropa, roman“ gefunden, in dem er sich nicht zuletzt mit der Sprachtheorie des Philosophen Ludwig Wittgenstein auseinandersetzt. Das Paradox, der manipulativen Kraft der Sprache allein durch Sprache begegnen zu können, bildete dabei den Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Wiener schloss mit seinem Denken an Modelle der von Norbert Wiener entwickelten Kybernetik an, der es um die Steuerung und Regelung von Maschinen sowie der Kopplung mit lebenden Organismen geht. Mit seinen umtriebigen Konstruktionen, zu denen ein sogenannter Glücksanzug gehörte, durch den Körper und Geist gewissermaßen verschaltet wurden, gilt Oswald Wiener als Vordenker des Cyberspace.
In der aktionistischen Phase der Wiener Studentenbewegung gehörte Wiener zu den Protagonisten der Aktion „Kunst und Revolution“, in deren Folge ihm in Österreich ein Verfahren wegen Gotteslästerung drohte. Oswald Wiener hatte sich da aber längst neu orientiert und zu Beginn der 70er Jahre in West-Berlin das legendäre, bis 1986 betriebene Restaurant „Exil“ am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg eröffnet, das schnell zum Zentrum der intellektuellen Avantgarde der Stadt wurde.
Zur Geschichte des Restaurants gehört inzwischen natürlich auch die seiner Tochter, der Köchin Sarah Wiener, die ihr professionelles Handwerk im „Exil“ gelernt hat. Vor fünf Jahren kam es in Berlin anlässlich einer Ausstellung von Sarah Wieners verstorbenen Bruder Adam zu einem viel beachteten Familientreffen.
Oswald Wiener, der in seiner frühen Wiener Zeit den Beinamen Ossi erhielt, ist am Donnerstag im Alter von 86 Jahren gestorben.