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Optimismus gegen Fanatismus

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Carolin Emcke (Mitte) erhält den Friedenspreis von Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. OB Peter Feldmann (links) applaudiert dazu.
Carolin Emcke (Mitte) erhält den Friedenspreis von Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. OB Peter Feldmann (links) applaudiert dazu. © rtr

Die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke erhält für ihre schwungvolle und von einem verblüffenden Optimismus getragenen Dankesrede in der Paulskirche viel Szenenapplaus.

Seit 1982 (George Kennan), seit sie 15 ist, guckte Carolin Emcke, die Verleihung des Friedenspreises im Fernsehen, und zwar aus familienfernsehenchoreografischen Gründen vom Teppich aus. In den ersten dreizehn Jahren sah sie sich Männer an, Preisträger und Laudatoren. Seit 2010 (David Grossman) sitzt sie im Publikum in der Frankfurter Paulskirche. Noch im vergangenen Jahr (Navid Kermani) tummelte sie sich nach eigenem Bekunden mit einem Freund nachts im Hotel Frankfurter Hof, um in die Tischordnung für das Festessen einzugreifen. Peinlicherweise seien sie erwischt worden.

„Wow, so sieht es also aus dieser Perspektive aus“, sagte sie jetzt in ihrer Dankesrede „Anfangen“ als (neunte) Trägerin des Friedenspreises 2016 und übersprang damit nicht nur freundlich und munter die üblichen zeremoniellen Begrüßungen, sondern legte auch die Fährte für ihre Rede aus. Eine echte Emcke-Rede, aus auch sehr persönlicher Emcke-Perspektive, die Moral und Vernunft, Individualität und Rückschlüsse auf die Gesellschaft immer zusammenbringt. Und ein Teil dieser Perspektive ist unbedingt der Perspektivwechsel.

Mancher, der in der Paulskirche spreche, so Emcke, spreche ja als Angehöriger einer Gruppe, was aber doch ein relativer Begriff sei. Für manche etwa werde „das eigene Judentum besonders spürbar“, wenn sie „in der Paulskirche sitzen und einer Rede zuhören müssen, in der das furchtbare Leid der eigenen Angehörigen von einem Menschheitsverbrechen, an das bis heute zu erinnern ist, zu einer bloßen ,Moralkeule‘ verstümmelt wird“. Sie könne, sagte sie, hier nicht stehen, ohne an die „furchtbar schmerzliche Stunde“ des Preises zu erinnern (Martin Walsers Friedenspreis-Rede 1998).

Ihre eigene Homosexualität bestimme natürlich ihre Perspektive. „Das ist nichts, das man sich aussucht, aber es ist, hätte ich die Wahl, das, was ich mir wieder aussuchte zu sein. Nicht, weil es besser wäre, sondern schlicht, weil es mich glücklich gemacht hat.“ Für sie selbst leite sich daraus keine Identität ab, interessanterweise aber offenbar für andere. Dabei sei „Verschiedenheit kein hinreichender Grund für Ausgrenzung“, „Ähnlichkeit keine notwendige Voraussetzung für Grundrechte“: „Das ist großartig“, so Emcke, „denn es bedeutet, dass wir uns nicht mögen müssen. Wir müssen einander nicht einmal verstehen in unseren Vorstellungen vom guten Leben. Wir können einander merkwürdig, sonderbar, altmodisch, neumodisch, spießig oder schrill finden.“

Sie selbst sei Fan von Borussia Dortmund, erklärte Emcke zur Freude eines Teils des Publikums, das sie aber selbstverständlich gleich damit herausforderte, dass sie keinem Schalke-Fan das Versammlungsrecht abspreche. Einschüchterung und Ausgrenzung sei indes die Strategie des „grassierenden Fanatismus“. Ihm komme es gerade recht, wenn nurmehr Juden gegen Antisemitismus protestierten, Schwule gegen Diskriminierung von Homosexuellen, Muslime für Religionsfreiheit oder Feministinnen gegen Sexismus: Das seien dann die „Lobbys“, die „Parallelgesellschaften“ oder eben „die Humorlosen“.

Viel Szenenapplaus für diese Preisträgerin und ihre nicht zuletzt schwungvolle und von einem manchmal verblüffenden Optimismus getragene Rede. Verblüffend aber nur, so lange man Optimismus keine Illusionslosigkeit zutraut. Illusionen macht Emcke sich nicht, streng und empfindlich ist sie gewiss – aber beides nicht mehr, als sie es von jedem Menschen erwartet.

Emcke, hatte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, zuvor erklärt, mache klar, „dass es einen Zusammenhang zwischen Gewalt und Sprache und Gewalt und Sprachlosigkeit gibt“.

Ihre Laudatorin Seyla Benhabib, mit Emcke aus Frankfurter Zeiten am Institut für Sozialforschung bei Jürgen Habermas vertraut, erinnerte daran, dass auf Emckes Buch „Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit“ (2013) Paul Klees „Angelus Novus“ zu sehen ist. Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ zeige sich in ihren Texten aber weder mit historischem Pessimismus noch messianischem Optimismus, sondern mit seinem Staunen. „Emcke wundert sich, dass die grausamen Dinge, die in Bürgerkriegen geschehen, überhaupt menschenmöglich sind.“ Sie habe „die Gabe, die Dinge so benennen und erzählen zu können, dass das Schweigen, in das sich Gewalt, Grausamkeit und Folter hüllen, durchbrochen wird“.

Dem Trauma nähere sie sich indirekt, mit vermeintlich unerheblichen Details – dem eigenen, wenn sie über den RAF-Mord an ihrem Patenonkel Alfred Herrhausen schreibt, dem der anderen, wenn sie aus Kriegsgebieten berichtet. Emckes scharf kommentierende Reportagen legten „die Dilemmata und Heucheleien der humanitären Intervention offen“: Warum, so Behabib, Kosovo, warum nicht Ruanda? Warum Afghanistan und Irak, aber Libyen erst viele Jahre später? Warum nicht Syrien? Sie zitierte Emcke: „Aber das ist es, was ich fordere: dass wir ein präziseres Vokabular entwickeln für unsere Schmerzen an und in der Demokratie ...“.

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