1. Startseite
  2. Kultur
  3. Literatur

Ohne Besen und Zauberstäbe

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

null
© Oetinger Verlag

Peter Schwindts Science-Fiction-Jugendroman "Justin Time"

Von OLIVIER LÖFFLER

Zauberer und Hexen, wohin das Auge schaut - zumindest wenn man sich gerade in die Kinder- und Jugendbuchabteilung des örtlichen Literaturwarenhauses verlaufen hat. Vom Begehrenswerten zum Ermüdenden ist es oft nur eine Frage der Menge, und angesichts des sich einfach nicht leeren wollenden Füllhorns an wiederentdeckten Vorläufern, Kopisten und Epigonen, das die Verlage nun schon seit Jahren über den Leser ausschütten, verfestigt sich der Eindruck, der gute Harry Potter wäre drauf und dran, ein ganzes Genre platt zu pottern.

Hier und da flackert aber doch auch schon bei einigen Verlagen und Autoren die Erkenntnis auf, dass die fantastische Literatur nicht nur und ausschließlich aus so genannter "Fantasy" bestehen muss. Ein herzliches Willkommen also für Justin Time - Zeitsprung, den ersten Roman des 1964 in Bonn geborenen Hörspiel- und Drehbuchautors Peter Schwindt, der sich abseits aller modischer Magie dem Thema "Zeitreise" und damit der Science-Fiction widmet. Zugegeben, so gänzlich unbekannt klingt das Szenario nicht: Ein in einem Internat aufwachsender Waisenjunge, dessen Eltern auf rätselhafte Weise ums Leben gekommen sind, wird plötzlich durch eine überraschende Nachricht in ein völlig neues, abenteuerliches Leben gestürzt. Ein bisschen Rowling muss wohl sein, und auch das selbst gewählte Thema "Zukunft" scheint Schwindt doch nur in Maßen zu beschäftigen.

So fokussiert er die Ausgestaltung der in London des Jahres 2385 spielenden Rahmenhandlung eng auf das erzählerisch Notwendigste. Zumindest im ersten Band seines ganz offensichtlich schon als Reihe angelegten Justin Time bleibt die Zukunft damit ein eher blasses Vehikel, das vor allem dazu dient, dem Helden ein Tor in die Vergangenheit zu öffnen. Und in dieser liegt denn auch der Reiz des Buches, der sich so richtig allerdings erst nach gut 100 Seiten entfaltet, wenn Schwindt seinen erzählerischen Kosmos skizziert, einige Fährten und Referenzpunkte ausgelegt hat und seinen Helden Justin zu einer längeren Rettungsaktion ins Jahr 1862 aufbrechen lässt.

Hier wird der Roman atmosphärisch dicht und entwickelt sich ganz nebenbei vom Kinder- zum Jugendroman. Durch eine Panne oder Sabotage zwischen Kutschen und Passanten auf der Oxford Street materialisiert, fällt Justin - als so gar nicht heldischem Helden - nichts Besseres ein, als sich gegenüber einem auf ihn aufmerksam gewordenen Polizisten als David Copperfield auszugeben und von der nächstbesten zwielichtigen Gestalt in ein als wohltätiges Arbeitshaus für obdachlose Kinder getarntes Verbrechernest entführen zu lassen. Gekommen, um seinem auf einer Mission durch die Zeit in Schwierigkeiten geratenen Onkel Chester zu helfen und eine mysteriöse Manipulation der Geschichte zu verhindern, hat er bald selbst Hilfe nötig. Gut, wenn der Autor mit dem schwindsüchtigen, gegen seinen Willen zum Einbrecher gedungenen David und dessen Schwester Fanny ein paar Freunde für seinen Helden zur Hand hat.

Neben dem fiktionalen Figurenensemble sind es aber vor allem auch die in tragenden Rollen zu neuem Leben erwachenden real existierenden Personen jener Zeit, die das besondere Interesse des Lesers wecken - darunter der Mathematiker Charles Babbage (1792-1871), einer der frühen Väter des heutigen Computers, und Charles Darwin (1809-1882), der Begründer der Evolutionstheorie. Wenn allerdings Justin Letzterem bei der Entwicklung seiner Theorie etwas auf die Sprünge hilft, aber wenig später im Dienste einer "intakten Zeitlinie" partout verhindern will, dass ein rätselhafter Unbekannter Charles Babbage beim Bau seiner Differenzmaschine unter die Arme greift, macht das schon deutlich, dass man es beim Thema Zeitreise mit der Logik nicht ganz so genau nehmen darf - aber das sollte dem Lesevergnügen keinen Abbruch tun. Für "Justin Time 2" stehen Schwindt jedenfalls alle Möglichkeiten offen.

Auch interessant

Kommentare