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Noemi Schneider und Golden Cosmos: „Ludwig und das Nashorn“ – Das Nashorn unterm Bett

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Von: Judith von Sternburg

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Er sieht’s einfach nicht. Der Vater zwischen dem Nashorn (l.) und Ludwig. Foto: Golden Cosmos/Nord Süd Verlag
Er sieht’s einfach nicht. Der Vater zwischen dem Nashorn (l.) und Ludwig. Foto: Golden Cosmos/Nord Süd Verlag © Golden Cosmos/Nord Süd Verlag

„Ludwig und das Nashorn“: Ein sagenhaftes Bilderbuch illustriert, wie einfach und kompliziert alles ist, sobald man anfängt nachzudenken.

Das Gute an einem Bilderbuch ist, dass ein absolut riesiges Nashorn auf jeder Seite anwesend sein und trotzdem unentdeckt bleiben kann. Der Mann im Buch hat Tomaten auf den Augen, das Nashorn scheint allerdings auch extrem wendig zu sein, man lacht sich kringelig. Der Sohn des Mannes heißt Ludwig, das sollte einen schon misstrauisch machen, aber der Vater lacht nur gutmütig, als Ludwig behauptet, in seinem Zimmer sei ein Nashorn, eben habe er noch mit ihm gesprochen. Da der Vater ein sehr guter Vater ist, lässt er zwar durchblicken, dass das sehr, also SEHR unwahrscheinlich ist, schaut aber doch geduldig überall nach.

Nun ist das Verrückte, dass jeder vernünftige Mensch beim Angucken der hinreißenden Doppelseiten das Nashorn stets im Blick haben wird und die Anwesenheit des Nashorns, eines äußerst blauen Nashorns, außergewöhnlich offensichtlich ist. Aber der Vater sucht halt immer gerade woanders. Manchmal ist das Nashorn so groß, dass man es selbst zuerst glatt übersieht, was nur unlogisch klingt, Sie werden es merken.

Nach Art von Erwachsenen – Erwachsene sind manchmal so unkonzentriert, gerade wenn sie besonders sorgfältig sein wollen – kann es dem Vater passieren, dass er beim Grübeln auf dem Nashorn sitzt wie auf einem blauen Riesensitzkissen. Oder dass er das Fernglas nachdenklich hinter sich über das Nashorn-Horn hängt, während er aus dem Fenster starrt. Denn Ludwig hat es drauf: Dass der Vater das Nashorn nicht sieht, ist eben kein schlagender Beweis dafür, dass das Nashorn nicht anwesend ist. Der Mond dort draußen zeigt sich auch nicht immer, und keiner wird daran zweifeln, dass er da ist. Der Vater weiß, dass das Quatsch ist, aber die Argumente gehen ihm aus.

„Ludwig und das Nashorn“ ist kein Suchspiel, sondern eine Gutenachtgeschichte, in der es aber viel zu entdecken gibt, also viel Nashorn, aber auch viel Nachdenklichkeit. Noemi Schneider hat sie sich ausgedacht und ging dabei von einer Ludwig-Wittgenstein-Anekdote aus. Seinen Professor Bertrand Russell brachte Wittgenstein während des Studiums in Cambridge auf die Palme, weil er darauf bestand, es lasse sich nicht beweisen, dass kein Nashorn im Raum sei. Eine theoretische Überlegung von großem Wagemut in verschiedene Richtungen, die hier in der sympathischsten Lesart in die Praxis umgesetzt wird. Der Vater rauft sich das Haar, aber er gibt am Ende Ludwig einen Gutenachtkuss.

Das Buch

Noemi Schneider/Golden Cosmos: Ludwig und das Nashorn. Nord Süd, Zürich 2023. 40 S., 18 Euro. Ab vier Jahren.

Die fantastischen Bilder dazu sind von Doris Freigofas und Daniel Golz, die sich zusammen Golden Cosmos nennen und mit guten Ideen und gutem Handwerk überzeugen: Aus drei Sonderfarben haben sie alles gemischt, mit und ohne Computer. Im abendlichen Kinderzimmer (einem Kinderzimmer mit hundert Details) leuchtet das, was leuchtet, umso enormer. Und keine Doppelseite, die nicht überrumpelt mit einem dollen Perspektivwechsel oder einem besonders guten Nashorn-Versteck. Einmal hängt es an der Lampe. Hammer. Ohne das fitte Nashorn wäre der kluge Ludwig natürlich nur halb so klug, das ist auch klar.

Die nervtötende Phase früher Schlaumeierei wird jedenfalls so dicht an einen Grundsatz der Philosophie herangefahren, dass jeder Spaß haben wird. Es hat auch etwas Ermutigendes, dass man sehr groß und trotzdem so gut wie unsichtbar sein kann, wenn es zum Beispiel das ist, was man gerade braucht. Hinten im Buch weitere, ausgezeichnete Nashorn-Verstecke in Wohnräumen.

Man sollte beim Lesen nicht direkt eine Nashorn-Phobie haben. Zumal der Hinweis, dass sich im Zimmer garantiert kein Nashorn befindet, nach der Lektüre nicht mehr verfängt. Das Nashorn im Zoo gehört dennoch zu den traurigsten Tieren. Was soll es dort, so stark, so ruhelos, so kompetent, aber nicht hierfür. Viel besser wäre es, wenn es bei Ludwig wohnen und sich abends mit ihm unterhalten könnte.

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