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Nicht nur Herzschmerz

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© Oetinger Verlag

Zwei Jugendbuchheldinnen bieten auch Nachhilfe in Geschichte

Von PETRA HARTLIEB

Das Piratenschiff war bisher ein für Jugendromane eher unüblicher Schauplatz. Zwar gibt es auf jedem Kindergartenfaschingsfest mindestens einen mit schwarzer Augenklappe und imposantem Säbel, doch mit zunehmendem Alter erlischt die Begeisterung für Captain Cook und Co schlagartig. Mädchen interessieren sich ohnehin selten für raue Gesellen, die bis an die Zähne bewaffnet die Weltmeere umsegeln und ihre Schätze in irgendwelchen Höhlen vergraben. Der Kinder- und Jugendbuchverlag Bloomsbury betritt also mit seinem Spitzentitel Piraten gleich doppeltes Neuland: eine Piratengeschichte für junge Mädchen.

Wir schreiben das Jahr 1722. Die englische Familie Kington ist mit einer Zuckerrohrplantage auf Jamaika reich geworden, doch ein gewaltiger Sturm lässt die gesamte Handelsflotte sinken und die Familie steht vor dem Ruin. Was bleibt, ist die Plantage auf Jamaika und die 16-jährige Tochter Nancy - als hübsches Mädchen im heiratsfähigen Alter, eine gute Geldanlage. Sie wird kurzerhand nach Jamaika verschifft, wo sie auf ihren zukünftigen Ehemann warten soll. Ihr Herz hat sie längst an einen anderen verloren, doch eine Vermählung dient in diesen Kreisen lediglich der Erhaltung von Dynastien und der Vermehrung von Reichtümern.

Bis hierhin unterscheidet sich Celia Rees' Plot durch nichts von anderen historischen Romanen über unglückliche Lieben. Für Mädchen im Teenageralter, die die melodramatische Seite des Lebens altersbedingt sehr wichtig nehmen, ideales Lesefutter.

Historischen Ereignissen, die weit zurückliegen, begegnet man emotional meist mit viel mehr Abstand als der so genannten Zeitgeschichte. So wirken im Geschichtsunterricht Themen, etwa Sklavenhandel, wie gruselige Märchen und werden von vielen kaum als historische Realität verstanden.

Wenn aber Celia Rees ihre Heldin Nancy diese Sklavenhaltergesellschaft erkennen und verstehen lässt, ist es plötzlich unbedeutend, dass dies alles vor mehr als 300 Jahren geschah. Die ehemalige Lehrerin Rees verschont ihr jugendliches Publikum nicht mit drastischen Schilderungen der Gräueltaten. Hier wird geschlagen, gefoltert, vergewaltigt, und als Leser ist man fast ebenso alarmiert und schockiert wie die junge Heldin.

Und die zieht - ungeachtet der Zeit, in der sie lebt - ihre Konsequenzen und flieht vor ihrem Leben als Ehefrau eines reichen Plantagenbesitzers. Ihre Flucht führt sie auf ein berüchtigtes Piratenschiff, und sie begibt sich - als gleichwertiges Mitglied der Besatzung - auf eine langjährige Reise. An diesem Punkt erreicht Celia Rees' erzählerisches Können Höchstform: Was haben Piraten und Sklavenhandel miteinander zu tun? Wie denkt und handelt ein Mädchen der britischen Oberschicht des 18. Jahrhunderts? Welche Rolle spielen Marine und Handel in dieser Zeit?

Spannend und gefühlvoll erzählt Celia Rees die abenteuerliche Geschichte der Nancy Kington. Die historischen Fakten und politischen Zusammenhänge bekommt man unaufdringlich mitgeliefert.

Fast 50 Jahre früher spielt ein weiterer historischer Roman des Bloomsbury Verlags. Die Schwester der Zuckermacherin ist sein Titel und eine wunderschöne junge Frau schmückt den Buchumschlag. Dabei ist die 16-jährige Heldin Hannah mit ihrem Aussehen gar nicht zufrieden, darin unterscheidet sie sich in nichts von ihren Altersgenossinnen des 21. Jahrhunderts. Rote Haare, Sommersprossen und unmoderne Kleidung, das sind Hannahs Sorgen, als sie im Sommer des Jahres 1665 das beschauliche Dorf ihrer Kindheit verlässt, um zu ihrer Schwester nach London zu gehen.

Der Zeitpunkt für Hannahs Umzug ist denkbar schlecht gewählt, denn in der großen Stadt ist die Pest ausgebrochen. Für Hannah ist das zunächst nicht mehr als ein Abenteuer. Warum sollte gerade sie von der unheimlichen Krankheit befallen werden? Ihre Sorglosigkeit verblüfft zunächst nicht, schließlich lebt Hannah in einer Zeit, in der einem keine Medien stündlich die neuesten Opferzahlen mitteilen. Wir wissen, dass die große Pest im Jahre 1665 ein Drittel der Londoner Bevölkerung hinwegraffte, doch die beiden Mädchen ahnen nicht, wie gefährlich die Situation ist: Ihre Informationen reichen kaum über ihr Wohnviertel hinaus.

Mary Hooper stützt sich in ihrem Roman ebenfalls auf eine genaue historische Recherche, doch das ist leider schon alles. Ihre Figuren wirken farblos, die Heldin Hannah erscheint nicht selten als oberflächliches, naives Gör. Ihr Aussehen, eine erste kleine Liebschaft beschäftigen sie mehr als die Toten in ihrer unmittelbaren Umgebung. Niemand bestreitet, dass auch in schlimmen Zeiten die kleinen Dinge des Lebens wichtig bleiben, doch die Eitelkeiten eines Teenagers geben nicht genug Stoff für einen ganzen Roman, auch wenn man die Pest als gruseligen Rahmen wählt. So ist Die Schwester der Zuckermacherin ganz passabler Geschichtsunterricht mit einer dünnen Story.

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