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Nachruf Gerhard Wolf: Im Garten der Dichtung

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Von: Cornelia Geißler

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Gerhard Wolf neben der Skulptur, die am Amalienpark 7 in Berlin-Pankow an Christa Wolf erinnert.
Gerhard Wolf neben der Skulptur, die am Amalienpark 7 in Berlin-Pankow an Christa Wolf erinnert. © dpa

Zum Tod des Schriftstellers, Verlegers, Helfers, Ehemanns, Vaters und Freundes Gerhard Wolf

Als wir ihn Ende Dezember 2020 zum Interview trafen, musste die erste Frage seine Gesundheit betreffen. Schließlich ging Corona damals heftig um, und neben seinem Stuhl hatte Gerhard Wolf einen Gehstock platziert. „Altersgemäß“, sagte er, eigentlich ganz gut, das Herz sei in Ordnung, das Kreuz nicht mehr so. Da war er 92 Jahre alt und hatte gerade ein neues Buch veröffentlicht: „Herzenssache“. Es ist eine Sammlung von Texten, die zum Teil noch nie oder nur an entlegenen Orten veröffentlicht waren, die in der Kombination zeigen, was diesen Literaturvermittler, Künstlerbegleiter, Lektor und Autor ausmacht. Gerhard Wolfs Gespür für Texte und Bilder brachte der deutschsprachigen Dichtung, der deutschen Kulturszene überhaupt bedeutende Anstöße und ermöglichte künstlerische Karrieren. Am Dienstag hat sein Herz dann doch aufgegeben. Gerhard Wolf ist 94 Jahre alt geworden.

Die Familie. Natürlich muss von der Familie die Rede sein, wenn man über Gerhard Wolf spricht. Bei nicht wenigen Menschen beginnt sein Name erst zu klingen, wenn man sagt, dass er von 1951 bis zu ihrem Tod im Dezember 2011 der Ehemann von Christa Wolf war, der Autorin von „Kindheitsmuster“ und „Nachdenken über Christa T.“. Die Rolle als „der Mann von“ hatte er aber in der literarischen Öffentlichkeit nie gespielt. So sehr er sich, selbst wenn er bei Interviews mit Christa Wolf dabeisaß, im Gespräch zurückhielt, so gut wusste man in den Verlagen und Redaktionen, was seine Hintergrundarbeit für die Literatur bedeutete. Auf ihn passt der erst spät üblich gewordene Begriff Netzwerker.

Zwei Töchter haben Christa und Gerhard Wolf. Die Enkelin, die Reporterin und Schriftstellerin Jana Simon, überraschte 2013 mit einem Buch, das Gespräche mit den Großeltern enthielt, das letzte hatte sie mit ihm alleine geführt. Christa sei immer noch anwesend, sagte er, „weil ich mich laufend mit ihren Sachen beschäftige“. Im Weiteren geht es um das Geheimnis von 60 Jahren Ehe, und er beschrieb der Enkelin die Abgrenzung der Rollen: Über sich könne er nur schreiben, indem er über andere schreibe, über Dichter wie Hölderlin oder Johannes Bobrowski (sein Bobrowski-Buch „Beschreibung eines Zimmers“ stand bei Lesern und Leserinnen in der DDR seit 1971 hoch im Kurs). Seine Frau aber „war die Dichterin“. Er wollte sie unterstützen, „versuchte auch zu sehen, was sie nicht kann“. „Ich bin ja ein ganz guter Lektor.“

Christa Wolf hatte 2005 in einem Interview die Frage beantwortet, wann sie wisse, dass sie richtig liege mit einem Text: „Wenn mein Mann ihn gelesen hat. Er hat eine genaue Mess-Skala für meine Manuskripte. Wenn die optimalen Werte nicht erreicht sind, sagt er das.“ In den vergangenen zwölf Jahren hat er mit ausgewählt und begleitet, was im Suhrkamp Verlag aus ihrem Nachlass erschienen ist, Briefe, Essays, Erzählungen.

Gerhard Wolf wurde am 16. Oktober 1928 in Bad Frankenhausen geboren. Sein Vater war Buchhalter. Seine Mutter, Schneiderin von Beruf, starb, als er zehn Jahre alt war, an Brustkrebs. Gerhard Wolf wurde mit 16 Jahren als Flakhelfer eingezogen. Die Erlebnisse waren ihm noch im Kopf, als er Mitte der 60er an Konrad Wolfs Film „Ich war neunzehn“ mitarbeitete. Da hatte er schon Geschichte und Germanistik studiert, erst als Neulehrer, dann in Leipzig und Berlin beim Rundfunk gearbeitet und war Lektor beim Mitteldeutschen Verlag.

„Außenlektor“ hieß seine Stelle offiziell, er musste nicht im Büro in Halle sitzen. In dieser Funktion hat Gerhard Wolf über Jahrzehnte Autoren und Autorinnen gefördert, kritisch begleitet, Buchveröffentlichungen ermöglicht. Es ging vor allem um Lyrik, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Adolf Endler, Volker Braun, Karl Mickel, aus deren Arbeitsbeziehungen zu Wolf Freundschaften wurden. Liest man in dem Band „Stimmen der Freunde“, von Friedrich Dieckmann zum 85. Geburtstag Gerhard Wolfs herausgegeben, spricht aus vielen der mehr als 60 Beiträge nicht nur Achtung und Bewunderung für seine Arbeit, sondern auch für sein Talent, Menschen zusammenzubringen – und zusammenzuhalten.

Der Bruch im Kulturleben der DDR, die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, bedeutete einen Einschnitt auch in seiner Biografie. Christa und Gerhard Wolf gehörten zum Kreis derer, die in einer Petition darauf drängten, die Entscheidung rückgängig zu machen. Mehrere von ihnen sahen sich in den Jahren danach selbst gezwungen, den Staat zu verlassen. Gerhard Wolf wurde aus der SED ausgeschlossen.

Ihm blieb, frei nach dem Titel eines Buchs von 2018, der „deutsche Dichtergarten“. Er gab mit Günter de Bruyn die Werke von Dichterinnen und Dichtern des 18. und 19. Jahrhunderts aus der Mark Brandenburg und Berlin heraus, Bettina und Achim von Arnim zum Beispiel, Anna Louisa Karsch, Fanny Lewald, natürlich Heinrich Heine, Theodor Fontane. Er unterstützte bildende Künstler und Künstlerinnen, indem er ihre Arbeiten sammelte. Er kaufte auch die inoffiziellen Zeitschriften, die in der DDR in den 80er-Jahren entstanden – bis er es schaffte, bei Aufbau „Außer der Reihe“ Texte zu publizieren, für die es sonst keine Druckgenehmigung gab, Arbeiten von Jan Faktor oder Reinhard Jirgl, Gabriele Kachold und Ines Eck zum Beispiel.

Nach dem Ende der DDR galten andere Gesetze auch für die Literatur. Der selbst ums Überleben besorgte Aufbau-Verlag wollte die eben noch unterdrückte Dichtung schnell wieder loswerden. Und Gerhard Wolf wurde mit 61 Jahren Jungverleger. Er gründete Janus Press, entdeckte die sorbische Dichterin Róza Domascyna, er holte Maler wie Angela Hampel, Cornelia Schleime, Helge Leiberg, Ralf Kerbach und A.R. Penck dazu.

Christoph Hein beschrieb einmal, wie Gerhard Wolf nicht gern Diskussionen zuließ, wenn er über zeitgenössische Lyrik sprach, aber „gesprächig und geradezu eloquent“ wurde, wenn ihm Grafiken oder Gemälde wichtig waren: „Die Augen sind dann leicht zusammengekniffen, der Blick ist ernst und prüfend, er gerät nicht ins Schwärmen, sondern ist immer der kundige Fachmann, der die erbrachte Leistung sorgsam zu prüfen hat, der höchst sparsam mit Lob umgeht und einzuordnen versteht.“

Gerhard Wolf ließ in den vergangenen Jahren zahlreiche junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in seine Wohnung in Pankow. Er hatte die Bibliothek, die er mit seiner Frau aufgebaut hatte – 330 Regalmeter Bücher und Zeitschriften – der Humboldt-Universität geschenkt. Die widmete ihr seit 2016 eine eigene Arbeits- und Forschungsstelle. Einige Kisten waren bereits umgezogen, die anderen Exemplare sichteten die Studierenden in seiner Gegenwart, in einer Wohnung, deren Wände von einem Leben mit und für die Literatur und die bildende Kunst zeugen.

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