Mulderrig aufmischen

Jess Kidds schnodderiger Kriminalroman „Der Freund der Toten“ ist ein besonderes Lesevergnügen.
Die Autorin hat promoviert und eine Weile kreatives Schreiben gelehrt. Sie lebt mit ihrer Tochter in London, wo sie auch geboren wurde, ihre Familie jedoch stammt aus Irland. Ein Porträtfoto zeigt eine dunkelhaarige Frau mit dunklen Augen und einem verschmitzten Lächeln – viel mehr an Information ist der Homepage von Jess Kidd nicht zu entnehmen. Es bleibt zu hoffen, dass sich das bald ändert, denn der erste Roman der Mittvierzigerin ist ein Hammer. Man möchte mehr erfahren über diese Frau, die 2016 mit einem Kriminalroman debütierte, der so schräg, so witzig und spannend ist, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Es ist erfreulich, dass „Der Freund der Toten“ inzwischen auch in der deutschen Übersetzung vorliegt. „Himself“ („Er selber“), so lautet der englische Titel. Himself, das ist der Hippie Mahony, der an einem heißen Sommertag locker-lässig in das irische Dörfchen Mulderrig hineinschlendert und das verschlafene Nest ordentlich aufmischt. Seine Hosenbeine sind so weit, „dass er damit die Hauptstraße fegen könnte“. Das bunte Hemd sitzt eng, das ungewaschene Haar hängt ihm über den Kragen – wir befinden uns im Jahr 1976.
In Mulderrig wird der Fremde, dessen Gesicht vielen älteren Bewohnern so merkwürdig vertraut vorkommt, mit vorsichtiger Neugier empfangen. So wie der aussieht, denkt Tadhg Kerrigan, der den Besucher als erster zu Gesicht bekommt, „ist er entweder ein Dichter oder ein Großmaul, mit den langen Haaren und der Lederjacke und diesem Gang, als könnte ihm keiner was“. Die Witwe Farelly hat eine ganz andere Vermutung: Der Kerl mit den schmutzigen Fingernägeln ist ein „Unruhestifter“, „versaut und verdreckt“ obendrein. „Ich kenne eure Sorte. Mit euren Drogen und euren losen Sitten – also mach, dass du weiterkommst. Das ist ein anständiges Dorf.“
Letzteres darf bezweifelt werden. Vor 26 Jahren ist in Mulderrig die blutjunge Orla Sweeney verschwunden – Mahonys Mutter. Angeblich hat sie das Dorf kurz nach der Geburt eines Sohnes verlassen. Seitdem fehlt jede Spur von Mutter und Kind. Wer Mahony in einem Dubliner Waisenhaus abgegeben hat, ist ebenso ein Geheimnis wie die Identität des Kindsvaters.
Für diese Rolle kommen viele in Frage. Orla, so heißt es im Dorf, sei ein lasterhaftes kleines Ding gewesen, verachtet von den Frauen, begehrt von den Männern. In Rückblenden erfährt man mehr über die junge Frau, die so gar nicht hineinpasste in die Gemeinschaft der frömmelnden Dörfler. Wild und aggressiv war sie, dreckig, frech und verzweifelt. Aber hat sie wirklich ihren kleinen Sohn in Stich gelassen, um in Amerika ihr Glück zumachen? Es gibt berechtigte Zweifel an dieser Version.
Zur Seite bei der Suche nach der Wahrheit stehen Mahony die Ex-Schauspielerin Mrs. Cauley, eine zähe alte Wachtel mit Haaren auf den Zähnen, und: die Toten von Mulderrig. Mahony gehört wie einst seine Mutter zu denen im Dorf, die die Geister sehen können – die kleine Ida mit den blutverkrusteten Haaren, die in dem Drama um Orlas Verschwinden noch eine wichtige Rolle spielen wird. Den verletzten Hund, der hinter der Theke im Pub hervorhumpelt. Auch er hat seinen Part in dieser Geschichte. Den verstorbenen Lover von Mrs. Cauley, dessen sexuelle Gelüste seinen Tod überdauert haben und der eher in die folkloristische Ecke gehört.
Gemeinsam begeben sich Mahony und Mrs. Cauley auf Mördersuche. Für das ungleiche Paar steht fest, dass Orla vom Vater ihres Kindes umgebracht wurde. Nur – wer ist der Mann, der die junge Frau mutmaßlich erschlagen und im Wald verscharrt hat? Das Vorgehen von „Miss Marple und Mr Stringer“ ist ungewöhnlich, aber erfolgreich. Der Täter entpuppt sich, wie nicht anders zu erwarten, als ehrenwertes Mitglied der Dorfgemeinschaft.
Was diesen Krimi zu einem besonderen Lesevergnügen macht, ist jedoch weniger der Plot als seine Umsetzung. Und das liegt nicht allein an der Mitwirkung der Geister. Jess Kidd ist eine Sprachvirtuosin, deren gekonnt schnoddriger Stil von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann kongenial ins Deutsche übersetzt wurde. Der Text lebt von seinem Sprachwitz und Jess Kidds Sinn für Situationskomik. Eine gelungene Kombination.