Die Mobilisierungs-Diktatur
"Ökonomie der Zerstörung": Adam Tooze analysiert die NS-Wirtschaftspolitik
Von ERNST PIPER
Einem breiteren Publikum ist Adam Tooze mit seiner Kritik an Götz Alys Buch "Hitlers Volksstaat" bekannt geworden. Aly hatte darin die These vertreten, das Dritte Reich sei eine Gefälligkeitsdiktatur gewesen, die sich die Zustimmung der "Volksgenossen" durch soziale Wohltaten und vor allem dadurch erkauft habe, dass sie die Finanzierung des Krieges auf die enteignete jüdische Minderheit und die besetzten Feindstaaten abgewälzt habe. In seiner "Ökonomie der Zerstörung" berechnet Tooze nicht nur die Kriegslastenverteilung anders; er kommt auch zu einer anderen Charakterisierung des nationalsozialistischen Regimes, das eine Mobilisierungsdiktatur gewesen sei, deren soziale Wohltaten sogar hinter denen vergleichbarer Volkswirtschaften zurückblieben.
Tooze, der neuere europäische Wirtschaftsgeschichte an der Universität Cambridge lehrt, stellt die Entwicklung der deutschen Ökonomie der Jahre 1933 bis 1945 in einen globalen Rahmen. "Ökonomie der Zerstörung" ist eine historiographische Leistung höchsten Ranges. Der Autor hat immense Stoffmassen bewältigt, die Darstellung bewegt sich auf der Höhe der Forschung und ist zudem, in bester angelsächsischer Tradition, glänzend geschrieben.
Zu Beginn stellt er zwei deutsche Politiker einander gegenüber, die aus der Niederlage im Ersten Weltkrieg höchst unterschiedliche Schlüsse gezogen hatten: Gustav Stresemann, der vom nationalistischen Annexionisten der Kriegsjahre zum demokratischen Staatsmann reifte, und Adolf Hitler, der seine festgefügte Weltsicht jeder Bereicherung durch neue Erkenntnisse konsequent verschloss und sich Fortschritt nur in Verbindung mit Krieg vorstellen konnte.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang Hitlers so genanntes Zweites Buch, das zu seinen Lebzeiten nie publiziert wurde und häufig nicht beachtet wird, aber die außenpolitischen Vorstellungen des Diktators deutlicher erkennen lässt als "Mein Kampf".
Hitlers Weltbild war von einem manichäischen Rassismus geprägt. Der Kampf auf Leben und Tod war der Kampf zwischen den arischen Völkern und dem Weltjudentum. Tooze betont zu Recht, dass Hitler in den USA die treibende Kraft hinter dem angeblichen Weltherrschaftsstreben des Judentums sah. Diese Weltsicht ist auch der Grund für die enge Verzahnung von Antisemitismus und antikapitalistischer Rhetorik. Der ökonomischen Potenz der USA und den amerikanischen Kriegsanstrengungen kam deshalb eine Schlüsselrolle zu. Gegen ihre langfristige Überlegenheit war allenfalls eine Blitzkriegs-Strategie erfolgversprechend.
Hitler wusste, dass die Zeit gegen ihn arbeitete. Die Verfolgung seiner imperialen Ziele war deshalb eine atemlose Jagd, die allen Beteiligten ohne Unterlass neue Höchstanstrengungen abforderte. 1934 machten Militärausgaben bereits über 50 Prozent aller Staatsausgaben für Waren und Dienstleistungen aus. Hatten die Rüstungsinvestitionen 1933 noch einen Anteil von weniger als einem Prozent am Volkseinkommen, waren es zwei Jahre später bereits zehn Prozent. Kein kapitalistischer Staat hat je in so kurzer Friedenszeit eine Umschichtung des Sozialprodukts in solchem Ausmaß vorgenommen.
Gleichzeitig kämpfte die deutsche Industrie um Autarkie, in den deutschen Grenzen von 1933 freilich ein aussichtsloses Unterfangen. 1935 wurde das Reichswehrministerium in Reichskriegsministerium umbenannt, im Jahr darauf verlangte Hitler in einer Denkschrift, Wirtschaft und Wehrmacht müssten in vier Jahren kriegsfähig sein.
Tatsächlich begann der Krieg auf europäischem Boden schon drei Jahre später und wurde in mehreren Eskalationsstufen 1941 zum Weltkrieg. An der Ostfront verschränkten sich mehrere Ziele: Die Ermordung der europäischen Juden und die Ermordung von bis zu 30 Millionen Slawen, um Lebensmittel für die Heimatfront und Lebensraum für deutsche Siedler zu gewinnen.
Eindrucksvoll arbeitet Tooze die Ökonomie der Sklavenarbeit heraus. Auschwitz war das erste KZ, das Sklaven in großer Zahl in eigene Arbeitslager abkommandierte. Oftmals wurden die Juden schon am Ausgangspunkt der Deportationen in Arbeitsfähige und sofort zu Vernichtende selektiert.
Zwischen den Vernichtungszielen und dem Wunsch, die Kampfkraft der Wehrmacht zu stärken, musste eine Kompromisslinie gefunden werden. Eine zentrale Rolle spielte dabei Albert Speer, dem Tooze in seinem Buch ein eigenes Kapitel widmet. Sein "Rüstungswunder" galt als Beleg für den nationalsozialistischen "Triumph des Willens". Speers Rüstungspropaganda trug entscheidend dazu bei, dass das deutsche Volk trotz aller erkennbaren Rückschläge sich bis zum Schluss allen Anstrengungen zur Erreichung der Kriegsziele willig unterzog.
Im Sommer 1944 setzte Speer die letzte Radikalisierung der Kriegsmaßnahmen durch. Am 26. Juni 1944 hielt Hitler seine letzte öffentliche Rede. Sein Auditorium bestand aus handverlesenen Vertretern der Rüstungsindustrie. Geschrieben hatte die Rede, die von der Notwendigkeit einer letzten großen Anstrengung für den "Endsieg" handelte, Albert Speer.
Tooze analysiert diese komplexen militärisch-ökonomischen Zusammenhänge umfassend und überzeugend. Trotz der streckenweise deplorablen Übersetzung ist es ein großes Verdienst des Siedler Verlages, das Buch auf Deutsch herausgebracht zu haben.