1. Startseite
  2. Kultur
  3. Literatur

Militärgeschichte der Antike: „Die Götter des Gemetzels“

Erstellt:

Von: Michael Hesse

Kommentare

Der erfolgreichste Stratege der Antike: Alexander der Große führte sein Heer bis nach Indien.
Der erfolgreichste Stratege der Antike: Alexander der Große führte sein Heer bis nach Indien. © Gemini Collection/Imago

Ein Band des renommierten Lexikons Der Neue Pauly führt gekonnt in die militärische Zeit der Antike ein und stellt eine Welt voller Kriege vor.

Feindschaft kann auch etwas Positives haben. Das wussten schon die alten Römer. Der innere Zusammenhalt wird angesichts des Feindes gestärkt, seine Präsenz zwingt zur Anspannung aller Kräfte. Dieser Bellizismus reicht bis in die heutigen Tage hinein, wie man an Wladimir Putin und dem russischen Krieg in der Ukraine sieht. Nicht wenige Kenner und Kennerinnen des Kreml sehen in den Motiven des russischen Präsidenten nichts anderes als den Versuch, seine Macht zu erhalten. Der Krieg, hieß es einst, habe eine erzieherische und reinigende Wirkung im Inneren, und ohne Feindschaft - dieser materia virtutis - drohe Erschlaffung.

Die Römer haben viel Wert auf diese „reinigende Wirkung“ gelegt, wenn man auf ihre zahlreichen Kriege blickt. „Viel Feind, viel Ehr“, das wusste später auch der deutsche Kaiser Wilhelm II., der seine Truppen schnurstracks in den Ersten Weltkrieg ziehen ließ. Wie die Zeiten der Römer und Griechen in der klassischen Alten Welt im Hinblick auf Krieg und Frieden aussahen, davon gibt jetzt ein sehnlichst erwarteter Band des „Neuen Pauly“ Kunde: Die Rede ist von der „Militärgeschichte der griechisch-römischen Antike“, erschienen im Metzler-Verlag. Sein Erscheinen wurde um rund ein Jahr verschoben. Verraten kann man aber nun: Dieser Band zur Militärgeschichte ist ein reiner Schatz.

Die Beiträge sind allesamt auf höchstem Niveau verfasst und ein reiner Lesegenuss. Alle Kapitel befinden sich auf dem aktuellsten Stand der Forschung. Man erfährt alles über die Ausrüstung der Soldaten, Grenzverläufe, Heldentum, den Rachegedanken (Homer lässt grüßen), Bündnisse, Disziplin und ihr Gegenteil, den Einsatz von Elefanten, Elitetruppen und vieles mehr - vor dem inneren Auge entsteht ein allumfassendes Bild der Antike. Natürlich werden die großen Kriege allesamt aufgeführt: Vom Alexanderfeldzug über die Perserkriege, den Gallischen Krieg bis hin zu den Punnischen Kriegen.

Leser und Leserinnen erwartet nicht allein Wissenswertes über Formationen und Taktiken der großen Schlachten der Antike, sie werden mitten ins Getümmel der politischen Auseinandersetzungen vor und nach den Kriegen geworfen. Etwa in den Streit, der im Jahre 149 v. Chr. im römischen Senat herrschte, ob man einen dritten Waffengang gegen die verhassten Karthager wagen sollte oder nicht. Natürlich ahnt man, dass der ältere Cato auch hier sein „Ceterum censeo Karthaginem esse delendam“ predigte.

Doch er erntete scharfen Widerspruch, etwa von Scipio Nesica. Rom benötige einen Wetzstein, argumentierte dieser, nur so könne es scharf und abwehrbereit bleiben. Und tatsächlich wusste der Historiker Sallust zu berichten, dass in Rom nach der Zerstörung Karthagos im Jahr 146 v. Chr. ohne den großen alten Feind die Dekadenz Einzug hielt. Der Bürgerkrieg, ausgelöst durch die Gracchen, drohte das Reich nun von innen her zu zerstören.

Aber es gab nicht nur die Lust am Feind im Süden, der das Reich zusammenhielt, sondern auch die Furcht vor dem Norden. Da hausten die Germanen, die man sich mit Hilfe des Limes vom Hals halten wollte. Das Verhältnis zwischen Römern und Germanen war schicksalhaft. Es dominierte auch hier die Feindschaft, wenngleich der große römische Historiker Tacitus mit Hochachtung etwa von Arminius sprach. Er nannte ihn gar den Liberator Germaniae, während andere in Rom in ihm doch nur den Verräter sahen. Arminius hatten den römischen Truppen bekanntlich eine vernichtende Niederlage beigebracht. An der Reichsgrenze wechselten indes zumeist germanische Beutezüge und römische Strafexpeditionen einander ab. In der Summe ließen sich die Germanen jedoch weder einbürgern noch ganz draußen halten. Der Konflikt schwelte bis zuletzt.

Das Buch

Leonhard Burckhardt/Michael Speidel (Hg.):

Der Neue Pauly. Supplemente, Band 12, Militärgeschichte der griechisch-römischen Antike. Metzler 2023, 690 S. , 199,95 Euro.

Stärker noch als in heutigen Zeiten war die Rolle der Feldherren in der Antike. Schon Homer feierte Hector und Achilles in seiner Ilias wie Götter - letzterer war ja zumindest ein halber Gott. Doch auch real wandelten auf der Erde fleischgewordene Gottheiten wie Alexander der Große. Erfolg im Krieg und persönlicher Wagemut mehrten das eigene Prestige und den Ruhm als Krieger. Und keiner war erfolgreicher in der Steigerung dieser Attribute als ebenjener aus Makedonien stammende Alexander. Seine Eignung als Stratege war unumstritten, sein taktisches Können, sein mitreißendes Wesen und sein ehrgeiziger Vorwärtsdrang galten als einzigartig. Allerdings konnte er bei seinen Eroberungen, die ihn bis nach Indien führten, auf ein sehr erfahrenes, aus dem makedonischen Adel stammendes Heer zurückgreifen.

Die allgemeine Aufgabe des Feldherrn spielte in kurzen Kriegen kaum eine Rolle. „Seine Pflichten waren darauf beschränkt, seine Truppen für den Kampf zu sammeln, sie an der Spitze in die Schlacht zu führen und überlegene Zweikampffertigkeiten zu beweisen - sowohl zum eigenen Ruhm als auch zur Inspiration seiner Männer.“ Durch eigenes Beispiel, darauf kam es an, sollte er das Gefecht führen. Er stand an der Spitze der Phalanx, der antiken Heeresaufstellung.

Natürlich kennt man die enge Verbindung von erfolgreichem Schlachtenlenker und Politiker, wofür Julius Caesar ein eindrucksvolles Beispiel ist - er gilt seit der Antike als ein Ausnahmefeldherr. Doch die Feldherren waren im Allgemeinen eher für ihre Erfolge als für ihre taktische oder strategische Genialität bekannt. Ruhm und Scheitern lagen nah zusammen, wie bei Hannibal, der aufgrund seines Feldzuges mit Elefanten über die Alpen für seine Genialität gerühmt wird.

Ein großer, oftmals unterschätzter Stratege war auch Kaiser Julian, die Christen nannten ihn Apostata, den Abtrünningen. Denn er hatte sie vom Hof in Konstantinopel vertrieben und die Philosophen zurückgeholt. Er hatte sich seine Zeit mit dem Studium der neuplatonischen Philosophie vertrieben, war zudem ein glänzender Militär, dem aufsehenerregende Operationen gegen die Alemannen und Perser glückten. Und er war einer der brillantesten Literaten unter den römischen Kaisern.

Der eigentliche Philosophenkaiser aber war Mark Aurel. Auch er, der „auf dem Schlachtfeld so außerordentlich erfolgreich war“, liebte die philosophischen Einsichten mehr als das Gemetzel auf dem Feld.

Auch interessant

Kommentare