Militär, Organisation, Krieg

Ein Markstein und eine neue Standardlektüre: Ulrich Herberts ebenso knappe wie anspruchsvolle und umfassende Geschichte des Dritten Reichs.
Von Matthias Arning
Ulrich Herbert hat erneut einen Markstein gesetzt. Mit einem knapp gehaltenen Band: „Das Dritte Reich“. Noch eine Geschichte des Nationalsozialismus? Es ist „die Geschichte einer Diktatur“, umfasst gerade mal 130 Seiten; Herbert lässt manches Detail beiseite. Und doch entsteht nicht der Eindruck, Wichtiges wäre nicht behandelt, Substanzielles über diesen fortwährenden Bezugspunkt der Geschichte für die Gegenwart nicht ausreichend entfaltet worden. Es ist eine anspruchsvolle, dichte und gut geschriebene Schilderung.
Der Historiker Herbert gliedert seine Erzählung in drei Teile. Er spannt eine Zeitleiste vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und berichtet vom Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion, der Besatzung Europa durch die Deutschen sowie die Ermordung der europäischen Juden.
An den Anfang seiner kurzgefassten Analyse setzt er den exzessiven Nationalismus, mit dem dessen Wortführer „eine geistige Konfrontation um die richtige Ordnung der modernen, industriellen Gesellschaften“ bestritten.
Von der Erbschaft der französischen Revolutionäre und ihrer Vorstellung individueller Freiheit redete kaum noch einer. Vielmehr setzte sich eine Vorstellung kollektiver Freiheit in der Auseinandersetzung um richtige Antworten auf die Herausforderungen der Moderne durch – „nicht Demokratie und Liberalismus, sondern Militär und Organisation“, fasst Herbert Grundlegendes für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland zusammen.
Damit besiegelten nationalkonservative Führungsgruppen die Absicht, fortan mit einer Republik wie Weimar nichts zu tun haben zu wollen. Sie priesen „die Volksgemeinschaft“: Sie wurde zu der „gegen Pluralismus, Arbeiterbewegung und Parteiendemokratie gerichteten Zentralparole des nationalen Lagers“. Neben diesem ideologischen Programm arbeitet Herbert die zentrale Bedeutung des Krieges für das „Dritte Reich“ heraus.
Der auf dieser Grundlage erstarkte Diktator Hitler wollte den Krieg, um „Versailles“ (den Vertrag von Versailles) zu revidieren, um Deutschlands Vorherrschaft in Kontinentaleuropa zu errichten, um Osteuropa zu einem kolonialen Hinterland zu machen und „das Deutsche Reich“ de facto als Weltmacht zu etablieren. Dafür war der Krieg „das ureigenste Element des Nationalsozialismus“, schreibt Herbert.
Ulrich Herbert hat im Laufe seiner Karriere als Zeithistoriker immer wieder wissenschaftliche Marksteine gesetzt. Zu Beginn seiner Karriere mit „Fremdarbeiter“, einer Studie über die Sklavenarbeiter, mit denen die deutsche Kriegsgesellschaft ihre Produktion in Gang hielt. Im vorigen Jahr mit einer grandiosen „Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“, über eine Zeit also, „die man kennt“. Und nun mit dem knapp gehaltenen Band „Das Dritte Reich“.
Die Geschichte der Diktatur passt in den Ranzen eines jeden Pubertierenden, und hätte es, schon wegen des knapp gehaltenen Preises, verdient, bei der Auseinandersetzung mit den Deutschen im zurückliegenden Jahrhundert zur Standard-Lektüre zu werden.