Michael Wäser: „Das Wunder von Runxendorf“ – Ein Mann muss Dampf ablassen

„Das Wunder von Runxendorf“, Michael Wäsers grausiger Roman über Fußball und Mord
Es ist das Jahr 1974, der Sommer der Fußball-Weltmeisterschaft. Der alte Müller, ehemals Bergmann, hat die Idee, sich im Keller einen Partyraum einzurichten, mit Bar und Farbfernseher. Da kann ihm doch Gerald helfen, sein Teenager-Sohn. Der ist erstaunt, hat er doch von seinem Vater bisher immer nur Verachtung erfahren. Und Gewalt. Aber jetzt drückt der ihm sogar eine Flasche Bier in die Hand, behandelt ihn wie einen Erwachsenen. Dass der Alte die allerschlimmsten Hintergedanken hat, wird Gerald erst begreifen, als er auf einer Weide ein Kalb töten soll – zum Üben.
Grausam ironisch ist der Titel von Michael Wäsers in einem saarländischen Dorf spielenden Roman: „Das Wunder von Runxendorf“. Und gruselig sind die Pläne des alten Müller bezüglich einer zusätzlichen „Unterhaltung“ für ihn und seine Nachbarn während der Spiele der deutschen Mannschaft. Von Missbrauch und Mord erzählt Wäser, doch überlässt er die brutalen Details weitgehend der Fantasie der Leserin, des Lesers. Es braucht ja nicht viel, dass sie anspringt.
In gleichgültigem Ton
Das Buch
Michael Wäser: Das Wunder von Runxendorf. Ein Mörder Roman. Axel Dielmann Verlag, Frankfurt 2021. 224 S., 20 Euro.
Es gibt eine einzige Sprechstimme. Ich-Erzähler möchte man es nicht nennen, denn es handelt sich möglicherweise um eine aus dem Trauma entstandene Persönlichkeitsabspaltung Geralds: Du kriegst das hin, flüstert sie ihm ein. Es spielt aber keine Rolle, wo diese Stimme herkommt. Denn in einem realitätsnah jugendlich-schnoddrigen, öfters auch gleichgültigen Ton berichtet sie von der Enge der Provinz, von einem Leben im Patriarchat, von Männern, die die Verfügungsgewalt über weibliche Körper für selbstverständlich halten. Muss so ein Mann nicht ab und zu Dampf ablassen, sich entspannen können?
Und Gerald? Der bekommt ein Moped, der kann sich eine Timex kaufen von dem Geld, das die Männer ihm zustecken, wenn er ihnen nur Mädchen besorgt, ordentlich junge natürlich. Gewissen? Ein Gewissen haben sie alle nicht. Und wenn noch ein Rest da ist, dann saufen sie den weg, ehe es losgeht mit dem Spiel und dem Begleitprogramm.
Wer die 70er Jahre bewusst erlebt hat, wird verflixt viel wiedererkennen. Anderes hat sich bis heute nicht verändert, etwa die auf frisierten Mofas oder Motorrädern posenden Jugendlichen, die Mädchen, die sich hübsch machen für die Disco. Die jungen Männer fahren zu schnell und sind dann mal weg, am Baum, an der Mauer. Die Kinder spielen auf der Straße, Völkerball, Fangen, Verstecken, Schwarzer Mann. Apropos: Ausländer gibt es so gut wie nicht in Runxendorf, sie wären auch nicht willkommen.
Der Kartoffelsalat heißt in Runxendorf Grumbeeresalat, da besteht der Müller drauf. Und sein Lieblingslied ist „Der lachende Vagabund“: „nichts konnte den so in Stimmung bringen wie dieser lachende Sänger, der so viel Glück bei den Frauen hatte“. Wäser beschreibt eine Fassade der Heimeligkeit, hinter der sich Grausamkeit und Frauenverachtung nicht einmal besonders gut verstecken.