Martin Suter „Melody“: Unglückliche Liebe währt lang

Martin Suter und der Roman über die vor der Hochzeit verschwundene „Melody“
Tom hat sich für ein Jahr bei bester Bezahlung auf eine ungewöhnliche Stelle locken lassen, nachdem andere Bewerbungen scheiterten. Er soll dem alten Dr. Stotz helfen, seine Biografie zu Lebzeiten von Unschönem zu bereinigen. Martin Suter führt in seinem Roman „Melody“ die Gegensätze zusammen: einen erfolglosen jungen Juristen und einen Greis, der eine Größe in der Schweizer Wirtschaft und Politik war. Tom findet Ordner voller Presseartikel über seinen Auftraggeber. Sie zeigen das Außenbild; eine Innensicht folgt in Gesprächen.
Nach seinem Ausflug als Biograf eines Fußballprofis („Einer von euch“) und als gewitzter Gesprächspartner eines Popliteraten („Alle sind so ernst geworden“) macht Martin Suter wieder das, wofür er seit 25 Jahren, seit dem Roman „Small World“, geliebt wird: Er erzählt eine scheinbar einfache Geschichte, die mit überraschenden Wendungen Geheimnisse preisgibt. Mag es an Suters Ruf liegen, dass der Roman sofort ein Bestseller wurde. Dessen Qualität dürfte dafür sorgen, dass er es eine Weile bleibt.
Martin Suter erzählt nämlich gleichermaßen einnehmend und spannungsreich, er legt gesellschaftliche Fragen in den Profilen seiner Figuren mit an, sodass es neben Liebe oder Karriere, Mode oder Reisen unterschwellig auch um Politisches geht. Manche Nebenrollen erscheinen zwar als etwas zu deutlich besetzt, die zunächst matte Hauptfigur beginnt im Romanverlauf jedoch zu schillern. Stotz braucht nicht unbedingt jemanden, der seine bereits von einer Sekretärin geordneten Unterlagen sortiert. Er sucht einen Zuhörer für die Geschichte seiner großen unerfüllten Liebe. Kurz vor der Hochzeit ist die Frau, die sich selbst Melody nannte, verschwunden.
Das Buch:
Martin Suter: Melody. Roman. Diogenes, Zürich 2023. 320 Seiten, 26 Euro.
Dazu etwas Gutes zu essen
Steckten die Eltern, Einwanderer aus Marokko, oder der streng gläubige Bruder dahinter? Während Stotz von seiner Suche erzählt, erinnert er sich, „was Melody mir einmal über Migranten gesagt hatte: ,Wir sind immer fremd. Dort, wo wir hingehen, und dort, wo wir herkommen.‘“ Er serviert die Geschichte in Begleitung von köstlichem (zuweilen zum Nachkochen genau beschriebenem) Essen und nach Jahrgängen aus seinem Leben gewählten Getränken. Der Alte lässt Details ineinandergreifen, baut Cliffhanger ein, bis Tom von der passiven auf die aktive Seite wechselt.
Dann beginnt die Leserin zu ahnen, dass das Routinierte an der Erzählung des ewig um die Geliebte Trauernden ein Trick seines Erfinders Martin Suter ist. Nicht nur ein im Roman auftauchender, satirisch überzeichneter Schriftsteller beherrscht das Spiel mit Wahrheit und Fiktion, Suter selbst ist ein Meister darin, Imaginiertes möglichst echt erscheinen zu lassen. Nicht umsonst bedankt er sich am Schluss auch bei seinen einstigen Kollegen von der Werbung.