Marie Malcovati „Als hätte jemals ein Vogel verlangt...“: Abgebrochene Zweige im Wald aus „richtigen Familien“

Marie Malcovati erzählt in ihrem Roman vom Widerspruch zwischen Freiheit und Heimat
Der Roman beginnt mit Regenwetter. Nein eigentlich mit Schnee; es gibt einen ersten, nur eine Seite umfassenden Abschnitt, der mit dem Folgenden nicht verbunden scheint. Er setzt den Ton mit einer Düsternis, einem Widerstand. „Überleben war so schwer, er wäre nie darauf gekommen, dass auch das Gegenteil schwer sein würde“, heißt es da. Ein Mann in einer Wildnis.
Danach sind nur Frauen handelnde Personen in dem Roman „Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut“, dem zweiten Buch von Marie Malcovati. Der Titel deutet einen Widerspruch an zwischen Freiheit und Heimat. Und darum geht es in diesem Buch, dessen Reize sich langsam entblättern, das den Leser dabei immer stärker beteiligt sein lässt.
Drei Frauen und Tahvo
Das Buch:
Marie Malcovati: Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut. Roman. Edition Nautilus,
Hamburg 2022. 224 S., 22 Euro.
Drei Frauen sind auf verschiedene Weise verbunden mit dem Finnen Tahvo, der sein Haus im kleinen deutschen Ort Luchsberg verlassen hat. Iona, die ihm noch nie begegnet ist, aber sicher weiß, dass er ihr Vater ist, dringt ins Haus ein. Abgerissen sieht sie aus, nicht nur wegen des Regens, durch den sie stundenlang gelaufen war. Seit sie vor dem Vater des Kindes in ihrem Bauch ausgerissen war, fühlte sie sich zwar befreit, „überwältigt von einer völlig unangemessenen Freude“, blieb aber tagelang ohne Obdach.
Die Tochter von Tine, die nebenan wohnt, entdeckt Iona zuerst. Tine, die keine eigenen Kinder bekommen konnte, was ihre Ehe belastete, hatte Clara adoptiert. Zusammen waren sie „zwei spärliche, abgebrochene Zweige im Vergleich zu dem Wald aus richtigen Familien um sie herum“. Tine hatte ein Verhältnis mit Tahvo, nun ist sie gekränkt, dass er einfach so weg ist. Die fremde Iona, deren Schwangerschaft für sie eine Provokation ist, übersetzt ihr einen Arztbefund, den sie im Haus finden.
Dann ist da noch Karolin, die Gastwirtin des Ortes, die bald versteht, dass Ionas Mutter einst in West-Berlin ihre beste Freundin war. Mit Karolins und Tahvos trauriger Geschichte lässt sich der Titel des Romans erklären. Diese Frau, die älteste der drei, ist diejenige, die am besten weiß, wo man ihn suchen kann: im Norden, im Schnee.
Es würde lange dauern, die Handlung des Buches nachzuerzählen und die Verknüpfungen zwischen den Figuren und weiteren Personen aufzudröseln. Und das wäre auch gar nicht so interessant, zumal einem dabei manches übertrieben, gar aberwitzig vorkäme. Es sind schon recht exzentrische Gestalten, die uns die in Freiburg lebende Autorin, Jahrgang 1982, da vorführt. Aus den verschiedenen Perspektiven, in versetzten Kapiteln, zum Teil in Rückblenden, erzählt sie von verletzten Heldinnen, Kränkungen, von geplatzten Lebensplänen. Dennoch steckt ein Aufbäumen, eine kratzige Wut in Iona, Tine und Karolin.
Das ungeborene Kind Ionas, die angenommene Tochter Tines, der verlorene Sohn Karolins sind in diesem Roman die Leuchtpunkte im Hintergrund, die all die Düsternis erhellen. Ihre Auftritte sind manchmal real, manchmal durchstreifen sie nur die Gedanken der Figuren. Marie Malcovati erzählt mit starker Stimme vom Heimisch-Sein und Ausbrechen, vom Recht auf eigene Wege abseits der jeweiligen Familien- oder Gesellschaftstradition.