Am liebsten Hosenfeld

Ein Bilderbuch von der Märchentante Madonna und eine wundervolle Foto-Erzählung
Von MARTIN SCHOLZ
Seien wir doch mal ehrlich: Wenn Musik- und Pop-Stars Kinderbücher schreiben, interessiert das vor allem ihre erwachsenen Fans, die darin nach neuen Deutungsmöglichkeiten für bekannte Songs suchen. Dass Musiker als Kinderbuchautoren ernst genommen werden, gar einen eigenen Stil ausbilden, kommt daher eher selten vor. Dem verstorbenen Jazz-Gitarristen Volker Kriegel ist das trotzdem gelungen - mit seinen liebevollen Bild-Geschichten über Olaf den Elch oder den König des Rock 'n' Roll. Auch John Lennon hatte ein Faible für kindliche Erlebniswelten. Für sein Bilderbuch Real Love ließ er sich von seinem Sohn Julian inspirieren. Die kleinen Texte zu seinen anrührenden Tierzeichnungen haben einen eigenen anarchisch-verspielten Sprachwitz, der auch Beatles-Songs wie "Lucy in the sky with diamonds" zeitlosen, kindlichen Charme verlieh.
Und dann wäre da noch Madonna. Die will jetzt Kinderbücher in Serie veröffentlichen. Aber mit den literarischen Einfällen eines Volker Kriegel oder John Lennon kann sich die Pop-Diva bislang nicht messen. Über ihr Bilderbuch-Debüt Die englischen Rosen lässt sich vor allem eines sagen: Es war ein gigantischer Marketing-Erfolg. Ein gutes Kinderbuch ist nicht dabei herausgekommen. Die Story über das Mädchen Binah, das zu schön ist für diese Welt und deshalb von anderen Mädchen gemieden wird, wurde von der Kritik zu Recht als "zuckerwattesüße Luftnummer" gescholten.
Jetzt ist mit Mister Peabodys Äpfeln das zweite von insgesamt fünf geplanten Kinderbüchern des US-Stars erschienen. Immerhin: Es ist ein besseres Buch, weil es unprätentiöser daherkommt als das erste Werk der Märchentante Madonna. Sie erzählt, wie der beliebte Grundschullehrer und Baseball-Trainer Mister Peabody von seinem Schüler Tommy fälschlicherweise als Dieb denunziert wird. Tommy hat gesehen, wie Peabody einen Apfel aus der Auslage eines Obstladens nahm, ohne dafür zu bezahlen. Als Tommy erfährt, dass Peabody seine Äpfel im voraus bezahlt, hatte er schon jedem vom Diebstahl erzählt. Als sich die beiden treffen, lässt ihn der Lehrer ein Federkissen aufschneiden und zusehen, wie der Wind die Federn verteilt. Als Tommy alle wieder einsammeln soll, sagt er, das sei unmöglich. Genau so unmöglich sei es, in die Welt gesetzte Gerüchte wieder einzusammeln, belehrt ihn der Lehrer.
Madonna erzählt dieses Gleichnis ohne Pathos, nimmt sich Zeit, die Geschichte zu entwickeln. Aber lebendig werden die Charaktere vor allem durch die stimmungsvollen, plastischen Zeichnungen von Loren Long. Seine Figuren sind oft seltsam zerdehnt, wie die Bilder in einem Zerrspiegel auf dem Rummelplatz und wirken gerade durch diese Deformierungen sehr menschlich. Aber dass der Zeichner auf dem Buchtitel nicht mal erwähnt wird, spricht nicht unbedingt für seine Co-Autorin.
In dem Foto-Erzählband Sommerzeit in Hosenfeld gibt es keinen Egomanen, der sich derart in den Vordergrund drängt: Fotograf Hubert Schöke und Co-Autorin Susanne Kopp sind beide auf dem Buchdeckel erwähnt, so wie es sich gehört. Sie nehmen uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit, zurück in die 70er Jahre - als Familien noch nicht mit Billigfliegern nach Miami oder Gran Canaria flogen, sondern meist im Auto jeden Sommer denselben Urlaubsort ansteuerten. Zum Beispiel den Bauernhof von Verwandten im hessischen Hosenfeld, nahe der Grenze zur DDR.
Erzählt wird diese zauberhafte Urlaubsgeschichte aus der Sicht von Schökes Kindern Georg und Hildegard. Schöke und Kopp verstehen es meisterhaft, sich in die Köpfe der Kinder zu versetzen. In einer klaren, kindlichen Sprache beschreiben sie, wie die Kinder den Alltag auf dem Land als ein einziges großes Abenteuer erleben. Da sind zum Beispiel die wilden Jungs, die im Schlauchboot über den Baggersee zu ihnen herüberpaddeln. Auf den ersten Blick wirken die ziemlich angsteinflößend, dann stellt sich heraus: Sie wollen einfach nur Spaß haben. Dann treffen sie noch Onkel Gottfried, den Jäger, der gerne Rehböcke schießt, und die Nachbarn, die schon mal den Hasen das Fell über die Ohren ziehen.
Der Fotoband führt zurück in jene verlorene Zeit, als es weder Gameboys noch Handys gab. Dafür gab es ein altes Schaukelpferd, das die Kinder besonders liebten. Die Fotos von Hubert Schöke atmen die Atmosphäre der "Pippi Langstrumpf"-Filme, erinnern an die unbeschwerten Bilder der "Kinder aus Bullerbü". Es ist ein Bilder-Buch, das man immer wieder anschauen und (vor-)lesen möchte - nicht nur zur Sommerzeit. Besonders bewegend sind die Bilder vom Abschied aus Hosenfeld: Da kullern Hildegard die Tränen übers Gesicht, ihre Lippen scheinen zu bibbern, das ist auf dem Schwarz-weißfoto deutlich zu erkennen. Man muss das verstehen: Es war so ein schöner Urlaub, bei Tante Lena in Hosenfeld. Und jetzt ist er vorbei. Das ist sowas von zum Heulen - da muss sogar der Leser mitschniefen.