Liebe tritt ein wie ein Gerichtsvollzieher

"Was man von hier aus sehen kann": Mariana Lekys neuer Roman erzählt skurrile Geschichten vom Lande.
Wenn man einen Roman vor längerer Zeit gelesen hat, erinnert man sich am ehesten an dessen Stimmung, gar nicht so sehr an die Geschichte darin. Die Stimmung in diesem Buch ist märchenhaft, fantastisch und herzerwärmend. Wenn Selma, die Großmutter der Protagonistin Luise in Mariana Lekys Buch von einem Okapi träumt, diesem seltsamen Tier, an dem nichts zusammenzuhängen scheint, werden ihre Nachbarn im Westerwald unruhig. Denn einer von ihnen muss dann sterben. Von dieser Art sind die originellen Einfälle in Mariana Lekys drittem Roman, ein Buch über den Tod und die Liebe, in Varianten allerdings, die mit der rauen Wirklichkeit nicht sehr viel zu tun haben.
Es ist zum einen das Porträt eines Dorfes. Nicht nur Selma ist skurril, sondern auch die übrigen Bewohner sind besonders. Naturgemäß wissen sie alles übereinander, und in zahlreichen Romanen sind solche Dörfer Brutstätten für Intrigen und langlebige Feindschaften. Bei Leky nutzen die Menschen ihr Wissen übereinander jedoch dazu, einander zu helfen, und sei es nachts im Geheimen, wenn beispielsweise Elsbeth die vom Optiker angesägten Beine eines Hochsitzes wieder zu kleben versucht. Der Mann soll schließlich keinen Menschen auf dem Gewissen haben.
Selbst die Bösartigkeit von Marlies und die brutale Ader von Palm können sich in dieser Dauerumarmung durch gute Menschen nicht halten. Klar, das ist kitschig, aber man lässt sich anfangs gern hineinfallen, wie in ein weiches Bett.
Im Mittelpunkt des Romans steht Selmas Enkelin Luise. Mit zehn muss sie einen schweren Verlust hinnehmen, als junge Frau trifft sie einen buddhistischen Mönch, der in Japan lebt. Höchst unpraktisch für eine Beziehung, aber von praktischen Erwägungen lässt sich hier niemand leiten. Es ist Liebe auf den ersten Blick: „Die Liebe ereilt einen (....) sie tritt ein wie der Gerichtsvollzieher, der vor Kurzem bei Bauer Leidig im Nachbardorf erschienen war. Die eintretende Liebe klebt einen Kuckuck auf alles, was man hat und sagt: Das gehört jetzt alles nicht mehr dir.“ Mariana Leky spielt gern mit Worten, das geht bisweilen auch schief, aber selten.
Es ist allerdings möglich, dass selbst Lesern, die sich anfangs gerne auf Ton und Geschichten von „Was man von hier aus sehen kann“ eingelassen haben, die fortwährende Niedlichkeit irgendwann zu viel wird.
Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann. Roman. Dumont Buchverlag, Köln 2017. 320 Seiten, 20 Euro.