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Die Lesung als Schutz

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Von: Marie-Sophie Adeoso

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Arundhati Roy.
Arundhati Roy. © imago

Arundhati Roy stellt ihren neuen Roman "Das Ministerium des äußersten Glücks" vor und spricht über ihr Schreiben, ihr Land, ihre Reisen.

Am Eingang zum ausverkauften Literaturhaus Frankfurt werden die Taschen kontrolliert. Es ist zum Schutz einer Frau, die in ihrer Heimat Indien zum Vorbild und Feindbild geworden ist, seit sie 1997 mit ihrem Debüt und Weltbestseller „Der Gott der kleinen Dinge“ die literarische Bühne betrat – und diese für 20 Jahre wieder verließ, um als politische Aktivistin messerscharfe Essays zur Situation ihres Landes zu verfassen. „Ich habe da die Dringlichkeit der Intervention gespürt“, sagt Arundhati Roy über ihren Aktivismus und ihre politischen Essays. „Fiktion ist das Gegenteil von Dringlichkeit.“

Gleichwohl sticht Roy auch in ihrem neuen Roman „Das Ministerium des äußersten Glücks“ in politisch wunde Punkte ihres Landes, wie den Kaschmirkonflikt. Lesungen seien für sie deshalb auch so etwas wie eine „militärische Taktik“: „Ich muss internationale Solidarität aufbauen, um mich zu schützen.“ Vor dem Zorn der Hindunationalisten um Ministerpräsident Narendra Modi etwa.

Auch in Frankfurt spricht die 1959 geborene Autorin mit der ihr eigenen politischen Stimme, die mit glockenhellem, oft von Lachen durchbrochenen Timbre tönt. Doch sie ist im Gespräch mit Fischer-Lektor Hans Jürgen Balmes auch immer wieder ganz nah bei den Figuren ihres Romans, bei Sprache und Struktur.

Wenn sie in ihrem „Roman-Appartement“, einem winzigen Zimmer in den alten Mauern Delhis sitze, „dann bin ich der Gast und die Figuren kommen langsam zu mir“, beschreibt Roy ihr Schreiben. „Sie sind realer, als ich es bin.“ Dass ihre Hauptfigur Anjum einen Friedhof bewohnt, habe etwa, anders als von manch europäischem Journalisten vermutet, rein gar nichts mit magischem Realismus zu tun, sondern sei eben indische Realität.

Ihr Erzählen beschreibt Roy ferner als das Bemühen, die Geschichte als Großstadt zu denken, durch deren Straßen sie streife, stehenbleibe, um mit Menschen zu sprechen, zu rauchen, hinzuschauen, zuzuhören. Sie habe kein Einzelschicksal vor der Kulisse einer Stadt erzählen, sondern vielmehr den Hinter- zum Vordergrund machen wollen. Entsprechend speise sich ihre Authentizität auch aus der Polyphonie Indiens, den vielen Sprachen und den vielfältigen Formen des Englischen. Die sie nicht verspotten mag, sondern zelebriert. „Ich blicke auf mein Buch, wie auf einen Teich, unter dessen Wasseroberfläche man die Fische umherschwimmen sieht“, beschreibt sie, wie sie ins Englische andere indische Sprachen eingeflochten hat. Als ihr Roman ins Urdu übersetzt worden sei, habe es sich deshalb auch angefühlt, „als würde das Buch nachhause kommen“.

Zuhause, das ist für Arundhati Roy immer Indien geblieben. Als gefeierte Autorin in einem Land zu leben, „in dem so viele nicht lesen, nicht essen können“, habe sie nach dem Erfolg ihres Debüts einst mit der Angst erfüllt, zur kalten Silberfigur zu erstarren. Um dem entgegenzuwirken, habe sie tief „in die Eingeweide“ Indiens gehen, reisen und sich mit den Menschen solidarisieren müssen, die sich nun in ihrem Roman spiegeln, weil Menschenrechtsreports alleine die Realität nicht abbilden könnten.

Nicht der politischen Analyse, sondern der Literatur erteilt Arundhati daher auch das letzte Wort und liest eine letzte Passage: „Weil ich immer im Buch enden möchte, bei allen diesen meinen Freunden.“

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