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Zum Tod von Lars Gustafsson

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Lars Gustafsson in Weimar, 2009.
Lars Gustafsson in Weimar, 2009. © dpa

Das Unalltägliche, das im Alltäglichen auftaucht, die Liebe, von der man selbst nichts weiß, die Dinge, die man braucht: Der höchst lebenszugewandte schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson ist jetzt mit 79 Jahren in Stockholm gestorben.

Die Toten, heißt es in „Alles, was man braucht“, wissen nicht, dass es sie je gegeben hat. Sich um seinen Nachruhm zu kümmern, ist darum ganz sinnlos und überflüssig. Diese Formulierung aus dem höchst eigenwilligen „Handbuch für das Leben“, das Lars Gustafsson zusammen mit seiner Frau Agneta Blomqvist vor sieben Jahren schrieb, ist gewiss eine charakteristische Gustafsson-Überlegung. Kluge Menschen wissen, dass außerhalb der Literatur das Leben das Leben ist und der Tod der Tod, und dass es keinen Kontakt zwischen diesen beiden gibt außer die allerdings mächtige Erinnerung, von der die Toten aller Voraussicht nach befreit sind.

Innerhalb der Literatur hingegen gibt es andere Möglichkeiten. Es beunruhigte viele Leser und Kritiker, dass Gustafsson in seiner Verserzählung „Die Sonntage des amerikanischen Mädchens“ (auf Deutsch 2008) eine junge Frau aus dem texanischen Austin aus ihrem Leben plaudern ließ, das bis zu ihrem furchtbaren Tod als Opfer eines Vergewaltigers und Mörders still und undramatisch verlaufen war. „So brutal und so ohne Resonanz verschwand dieses Mädchen aus der Welt“, erklärte der Autor im Nachwort, „dass ich ihr auf irgendeine Art eine Stimme geben musste.“ Es mag sein, dass Tabubrüche – falls das überhaupt einer war – meistens aus Unempfindlichkeit entstehen. Interessanter sind selbstverständlich die, die aus Empfindlichkeit begangen werden.

Das Leben interessierte den lebenden Lars Gustafsson über die Maßen. Daraus wurden bei ihm allerdings ganz schmale, oft aufeinander und oft auf Gustafssons eigene Biografie bezogene Bücher, Geschichten über die unalltäglichen Details des Alltags: Eine Liebe, von der der Liebende selbst gar nichts wusste zum Beispiel, in dem besonders erfolgreichen Roman „Frau Sorgedahls schöne weiße Arme“ (auf Deutsch 2009). Oder der überwältigende, ganz plötzlich aufgetretene Gedanke eines ziemlich normal vor sich hin lebenden Mannes, „dass er im Grunde vielleicht ein völlig misslungener Mensch war“, in „Der Mann auf dem blauen Fahrrad“ (auf Deutsch 2013).

Denn Lars Gustafsson schrieb durchaus unter Berücksichtigung und im Bewusstsein der Existenz des Bösen und des Boshaften. Sich selbst nannte er einmal einen boshaften Gnom, wofür zwar nichts Offensichtliches sprach, aber sicher war es immer eine Gefahr, unter dem beiläufigen, gelassenen, insgesamt sogar heiteren Erzählton die Skepsis und das Ungemütliche zu übersehen.

Der Sohn des Nähmaschinenvertreters

Gustafsson, 1936 geboren – am 17. Mai wäre er 80 Jahre alt geworden –, war der Sohn eines Staubsauger- und Nähmaschinenvertreters (was Einfluss auch auf die Berufe etlicher seiner Figuren nahm). Er studierte in Uppsala Philosophie und Literaturwissenschaften, promovierte zum Thema „Sprache und Lüge“ unter anderem über Friedrich Nietzsche und Fritz Mauthner. Als Student lernte er in Westberlin exzellent Deutsch und unter anderem Max Frisch kennen, mit dem er auch in Kontakt blieb. Von einem Essen mit Friedrich Dürrenmatt zu dritt in Zürich erzählte er später, denn er ließ sich interessanterweise nie zu tief in die Karten schauen: „Dieses Treffen ist literaturhistorisch gewiss interessant. Ich glaube, wir sprachen über Fischsaucen.“

Schon seit Ende der fünfziger Jahre schrieb und veröffentlichte Gustafsson Lyrik und Romane und gelehrte Bücher und Bücher, die sich klaren Zuordnungen entzogen. Anfang der achtziger Jahre ging er in die USA – das „Mutigste“, was er je getan habe, gab er später zu Protokoll. Im Hintergrund stand nicht zuletzt die unangenehm scharfe Debatte, die seine Streitschrift „Für den Liberalismus“ ausgelöst hatte, in der Gustafsson autoritäre Tendenzen auch in Schweden anprangerte.

Schon seine fünfteilige (teils in Berlin entstandene) Romanfolge „Risse in der Mauer“ über Schwedens (rissige) Wohlstandsgesellschaft hatte Ende der siebziger Jahre die Landsleute weniger erfreut als die begeisterte deutsche Kritik. Jahrzehnte währte damit Gustafssons Präsenz auf dem deutschen Buchmarkt – und (seit 1967) die Zusammenarbeit mit dem Hanser-Verlag. Immer wieder reiste er für Vorträge, Poetikvorlesungen, Studienaufenthalte an, stellte in Berlin auch mehrfach seine Malerei aus, lehrte hauptberuflich aber von 1983 bis 2006 Philosophie und Germanistik an der Universität von Texas. Erst danach kehrte er in seine Heimat zurück.

Für den Nobelpreis war er über Jahre ein häufig genannter Kandidat. Sein Traum vom Glück: „,Don Quijote‘ am Vorabend abgeschlossen zu haben.“ Der 2015 in Schweden und soeben auf Deutsch herausgekommene, wiederum ganz schmale Roman „Doktor Wassers Rezept“, eine kuriose Hochstapler-Geschichte, muss jetzt als sein Vermächtnis gelten. Am Sonntag starb Lars Gustafsson im Kreise seiner Familie in Stockholm.

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