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Kummer und Genuss

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Fast schon ein Gedicht: Sprinkler in einer Grünanlage.
Fast schon ein Gedicht: Sprinkler in einer Grünanlage. © rtr

Mit Nicholson Bakers Roman „Regenmobil“ kann man sich das Leben schönlesen. Darin gibt es neben vielem anderen Beinahe-Gedichte über Gartengeräte.

Von Ulrich Seidler

So ein Regenmobil, nach dem der US-amerikanische Schriftsteller Nicholson Baker sein neues Buch benannt hat, ist eine nützliche Erfindung: Auf einem kleinen, an den Gartenschlauch gedockten Gefährt rotiert ein waagerechter Löcherstab und verteilt, in Bewegung versetzt vom Wasserdruck, Tropfen auf dem Rasen. Die Drehung des Stabes wiederum treibt einen „Sperrklinken“-Mechanismus an, der damit das Gefährt zollweise vorwärts schiebt, wobei der Gartenschlauch selbst als Gleis fungiert.

Für den Erzähler ist diese „ganz treue, kleine, hart arbeitende Maschine“ ein mehr als würdiger Gegenstand für ein Gedicht, denn er ist Lyriker und heißt Paul Chowder (der Nachname ist übersetzbar mit „dicke Suppe“). „Bedenken Sie einen Augenblick lang die Kraft und die Herrlichkeit dessen“, unterbricht er seine ausführliche, detailverliebte und vieldeutende Regenmobil-Beschreibung. Er forscht in den Patentämtern, vergleicht das Gartengerät mit Stanley Kunitz’ Schildkröte, „alt und krustig, einsamer als Bonaparte“ und findet natürlich viel mehr und viel schönere Worte für diese automatische Weise des Rasenwässerns: Das Wasser „läuft durch den Traktor hoch und tritt an den Löchlein am Ende der rotierenden Wirblis aus und fliegt in einem gleißenden Bagel sinusoider Formen auf den Garten. Aus bestimmten Winkeln bildet es einen nahen Regenbogen, und das ist alles sehr nett.“ Das ist es in der Tat, sehr nett, aber kein Gedicht. Was dann?

Der 55-jährige Paul, der bis zur Fertigstellung seines neuen Lyrikbandes „Kummermütze“ auf Alkohol verzichtet, dafür aber starke Zigarren durchprobiert und im Übrigen seine Frau Rosslyn zurückerobern möchte, kommt sich vor – Achtung – „wie ein Regenmobil, dem der Schlauch abhanden gekommen ist“. Er verlegt sich aufs Songschreiben, am besten wären Protestsongs, aber vorerst sind auch Liebeslieder gut, und vielleicht ist das ja dasselbe. Er kauft sich eine einfache Gitarre und ein bisschen Equipment, montiert Beats und Sounds, schließlich war er mal ein ambitionierter Fagottist, bis er sich den Kiefer brach und das Instrument verkaufte – der zweitschlimmste Fehler in seinem Leben. Der schlimmste war wohl, dass er Rosslyn, als diese es wollte, kein Kind gemacht hat. Mit dem Songschreiben kommt er nun auch nicht recht voran. „Ich habe ein Problem damit, Songtexte zu schreiben. Entweder sie sind zu einfach, zu oberschlau oder zu sexuell.“

Sein Verleger, der ohnehin nicht sonderlich froh über den wenig verkaufsfördernden Titel „Kummermütze“ war, schlägt Paul vor: „Schreib doch mal ein Buch darüber, wie du versuchst, einen Protestsong zu schreiben.“ Das mache er ja irgendwie schon, so Pauls Antwort. Schön, dass wir Leser nun auch Gewissheit darüber haben – da sind wir auf Seite 182. Und ohne uns wäre dieser Text schließlich nichts anderes als ein Selbstgespräch. Ein Gespräch allerdings, in dem das Ich das Selbst siezt und das von solcher Begnadetheit, Denkneugier und Zugewandtheit ist, dass das Ich des Lesers sofort ein schlechtes Gewissen bekommt, weil es das eigene Selbst vernachlässigt, wenn nicht fast schon vergessen hatte.

Nicholson Baker, der wie schon in seinem herrlichen Roman „Eine Schachtel Streichhölzer“ (2004) dem Protagonisten sehr ähnlich sein dürfte, beim allmählichen Entwickeln, aber niemals Verfertigen von Gedanken, Betrachtungen und Abschweifungen zu belauschen, ist ein großer Genuss. Allein wie er bei Laune bleibt, auch wenn er dem Kummer nicht aus dem Weg geht, genauso wenig wie den kleinen, gut sortierten Genüssen. Die Aufmerksamkeit, die er Nebensachen widmet – Flusen im Wäschetrockner, Crackern mit Erdnussbutter, seinem alten Seat, dem Eisengehalt von Melasse – scheint alles zur erhellenden Metapher werden zu lassen. Eingestreut sind herzrhythmusverändernde Momente von Todesnähe und Liebe, wenn Rosslyn Paul am Tag, bevor sie operiert wird, ihren Unterleib befühlen lässt, in dem Gebärmuttermyome wuchern. Ein sehr diskret beschriebener Liebesbeweis, der sich am Rand der Erotik entlangtastet: „,Möchtest du noch immer meine Myome befühlen? ... Das ist jedenfalls deine letzte Chance. Morgen sind sie nicht mehr da.‘ Sie nahm meine Hand und legte sie sich auf den Bauch.“ – „,Hm‘, sagte ich. ,Ich spüre eindeutig was Hartes und Knotiges, aber ich glaube, das ist dein Bademantel. Also der Gürtel.‘“

Und unter allem läuft ein Soundtrack von Tracy Chapman über die Staple Singers bis zu seinem Lieblingsstück „Die versunkene Kathedrale“, die, wie ihr Komponist Claude Debussy, immer wieder zum Gegenstand für Exkurse wird, schon weil es eins der wenigen Stücke ist, in denen das Fagott eine Rolle spielt. Und dass er musikalische Fortschritte macht, daran besteht kein Zweifel. „Meine Stimme war klein und krächzend. Ich habe gern eine krächzende Stimme.“ Ein Buch, das einem beispielgebend helfen könnte, sich im Leben zu Hause zu fühlen.

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