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Krimiautorin Asa Larsson: „Ordnung wird wiederhergestellt in einer chaotischen, unsicheren Welt.“

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Von: Sylvia Staude

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„Ich verfolge keine Agenda, aber meine Werte kommen in all meinen Romanen durch“, sagt Åsa Larsson. Foto: Orlando G. Boström
„Ich verfolge keine Agenda, aber meine Werte kommen in all meinen Romanen durch“, sagt Åsa Larsson. © WWW.ORLANDOPHOTOART.COM

Die Schriftstellerin Åsa Larsson über den Abschied von Rebecka Martinsson und die Vorteile des Krimi-Genres.

Frau Larsson, vor rund 20 Jahren kam Ihr erstes Buch, Ihr erster Kriminalroman heraus. Was hat Sie damals veranlasst, dieses Genre zu wählen?

Man könnte meinen, dass ich nach 20 Jahren eine richtig gute Antwort auf diese Frage hätte, die habe ich aber nicht. Ich glaube, was mich zum Schreiben brachte, war das tiefe Verlangen, etwas Kreatives zu machen. Ich habe damals als Steueranwältin gearbeitet. Aber was das Genre betrifft: Manchmal sage ich, es war ein Zufall, denn das erste Puzzleteil, das vor meinem inneren Auge stand, war ein junger Mann, der im Schnee stirbt. Ich glaube aber auch, dass es für viele Frauen, die schreiben wollen, eine Frage des Selbstvertrauens ist. Es ist eine große Sache, ein Buch zu schreiben. Vielleicht denken viele Frauen, sie könnten keinen „echten“ Roman schreiben, wohl aber einen Kriminalroman. Es ist gut, den Rahmen eines Genres zu haben, eine Handlungskurve, an der man sich festhalten kann, während man doch auch über andere Dinge schreibt als Mord.

Ihre Figur Rebecka Martinsson erscheint mir von Anfang an als starke Frau. War das eine bewusste, sogar eine feministische Entscheidung?

Es gab auch zuvor schon starke Frauen in der Kriminalliteratur. Miss Marple ist auf ihre Art eine starke Frau. Was neu war, das war, dass ich ihr auch erlaubt habe, zerbrechlich zu sein. Im dritten Roman muss sie in eine psychiatrische Klinik, wird dort mit Elektroschocks behandelt. Im zweiten hat sie einen Zusammenbruch, verliert den Zugriff auf die Realität. Und mein Verleger sagte damals: Wie in aller Welt willst du das in die Geschichte integrieren, ist das überhaupt möglich? Heute würde das kein Verleger mehr sagen, denn es gibt viele Frauenfiguren mit unterschiedlichen Diagnosen, man erlaubt ihnen, psychologisch anfällig zu sein. Gleichzeitig kompetent und hart arbeitend.

Was haben Sie damals Ihrem Verleger geantwortet?

Keine Sorge, ich bin in der Lage, diese Geschichte zu schreiben ( lacht ).

Vor 20 Jahren war mit Henning Mankell gerade die schwedische Kriminalliteratur äußerst gefragt in Deutschland. Das Adjektiv „schwedisch“ war wie ein Qualitätssiegel. Hat Ihnen das bei Ihrem Start geholfen?

Natürlich. Aber es war sowohl ein Segen als auch eine Bürde. Wenn wir eine allgemeine Perspektive wählen, dann sprechen männliche Autoren immer über ihr eigenes Werk, ihre eigenen Geschichten. Während ich in den zwanzig Jahren als Kriminalschriftstellerin die Erfahrung gemacht habe, dass wir zusammengeworfen wurden, man uns „Crime Queens“ genannt hat. Niemand hat über die männlichen Autoren gesagt, dass sie „Crime Kings“ sind. Die Kriminalschriftstellerinnen wurden also als Gruppe behandelt, als Phänomen, was auch herabsetzend ist. Schon das Wort „Königin“ legt nahe, dass man nicht als hart arbeitende Autorin gesehen wird, als Individuum, sondern als jemand Glamouröses, der in den sozialen Medien ein bestimmtes Gesicht zeigen muss. Es war also eine Herabsetzung, als Teil eines Phänomens gesehen zu werden. Dennoch hat es mir selbstverständlich auch geholfen.

Würden Sie Ihre Romane als politisch bezeichnen?

Ich habe keine Agenda außer der, meine Geschichten zu schreiben. Aber natürlich, wenn ich zurückblicke, sie wieder lese, bin ich wirklich politisch, wenn es um die Hauptstadt geht, wo all die Macht liegt. Schweden ist sehr zentralisiert, das Land wurde von Stockholm immer als etwas gesehen, dessen natürliche Ressourcen ausgebeutet werden konnten, die Minen, die Wälder, die Wasserkraft. Und das spiegelt sich in meinen Büchern wider. Ich würde also sagen: Ich verfolge keine Agenda, aber meine Werte kommen in all meinen Romanen durch.

Sie haben Ihren letzten Roman, den sechsten mit Rebecka Martinsson, rund zehn Jahre nach dem vorletzten geschrieben. Warum so eine große Lücke?

Der Hauptgrund war, dass ich eine Reihe von Kinderbüchern schrieb, zehn Kinderbücher für ein Alter zwischen neun und zwölf. Weil ich fand, dass jemand etwas schreiben muss, was Jungs lesen, im Besonderen Jungs. Mein Sohn hat aufgehört zu lesen, als er elf war. Diese Bücher waren mir wichtig und drängten sich dazwischen. Außerdem gab es Rebecka-Martinsson-Fernsehfilme. Es war also nicht so, dass ich nicht gearbeitet hätte in diesen Jahren, aber ich musste Rebecka auf Eis legen.

Zur Person

Åsa Larsson, geboren 1966, wuchs im nordschwedischen Kiruna auf. Sie arbeitete als Steueranwältin. Gleich mit ihrem ersten Roman, „Sonnensturm“, war sie im Jahr 2003 erfolgreich und erhielt den Schwedischen Krimipreis. Es folgten vier weitere Bücher mit der Hauptfigur Rebecka Martinsson, einer Staatsanwältin. In dieser Woche ist, nach zehn Jahren Pause, der sechste und definitiv letzte Martinsson-Kriminalroman erschienen.

Åsa Larsson: Wer ohne Sünde ist. A. d. Schwed. v. Lotta Rüegger, Holger Wolandt. Bertelsmann, München 2022. 560 S., 22 Euro.

Sie hatten bald nach Beginn der Reihe gesagt, Sie würden sechs Folgen schreiben, nicht mehr. Sie haben sich inzwischen nicht anders entschieden?

Nein, ich möchte nicht weiter über Rebecka Martinsson schreiben. Aber natürlich ist es traurig, sie zurückzulassen, ihr Goodbye zu sagen. Und es macht einer Autorin auch ein wenig Angst, etwas zu beenden, das erfolgreich ist. Sie wissen ja nicht, was als Nächstes kommt, was Sie als Nächstes machen werden. Das gilt für das Leben generell: Wann immer Sie mit etwas aufhören, mit einer Ehe, einer Arbeitsstelle, oder wenn Sie umziehen, müssen Sie lernen, mit ein bisschen Angst zu leben. Das geht aber auch Hand in Hand mit Freiheit, das ist ein Paket. Wir haben so eine naive Vorstellung von Freiheit – Freiheit ist, über einen Strand in den Sonnenuntergang zu laufen, mit der salzigen Luft im Haar, der Sonne im Gesicht. Aber Freiheit bedeutet auch, mit Unsicherheit und Angst umgehen zu lernen. Nachdem ich das gesagt habe, sage ich auch: Ich bin privilegiert. Es ist nicht so, dass ich vor einem Krieg flüchten muss. Ich höre nur mit einer Krimiserie auf.

Werden Sie eine neue beginnen?

Ich weiß es wirklich, wirklich nicht. Ich habe schon vor vielen Jahren entschieden, dass das meine Zeit der Freiheit sein wird. Ich habe mein Haus verkauft, meine Kinder sind ausgezogen, aus meiner Heimat wurde eine Grube ( es handelt sich um Kiruna und eines der größten Eisenerzbergwerke der Welt, d. Red. ), und ich werde für eine Weile nichts schreiben.

Seit Jahren gibt es einen unglaublichen Krimiboom. Was denken Sie, warum lesen die Menschen so gerne Krimis, schauen so viele TV-Krimis?

Ich glaube, auf diese Frage gibt es viele Antworten. Menschen mögen Geschichten mit einem Anfang, einer Mitte, einem Ende. Sie mögen auch Chaos. Und Kriminalromane haben beides. Krimiautoren bilden auch am stärksten ab, was in der Gesellschaft vor sich geht, über was auch die Zeitungen schreiben. Der Kriminalroman beschäftigt sich damit mehr als der normale Roman. Außerdem liefern Kriminalromane Hoffnung. Das mag nicht für alle gelten, aber meistens wird am Ende doch der Gerechtigkeit Genüge getan. Und da unsere Gesellschaften säkularer werden, immer weniger Menschen an Gott glauben, gibt es hier immerhin eine Hoffnung auf Gerechtigkeit, darauf, dass die Ordnung wiederhergestellt wird in einer chaotischen, unsicheren Welt.

Ihre Großeltern gehörten zu einer Laestadianischen Kirchengemeinde, konservative Lutheraner.

Ich gebe manchmal dem Alten Testament die Schuld, dass ich Krimiautorin geworden bin, denn das ist ein Haufen gewalttätiger Geschichten. Die Religion und die große Macht, die in der Kirche einige über andere haben, diese Macht spielt in meinen Büchern eine Rolle. Und gleich im ersten Buch, als Rebecka Martinsson denkt, dass sie sterben muss, betet sie. Der Glaube, die Religion, die Kirche waren immer sehr präsent in meinen Büchern.

Haben Sie sich beim Schreiben über das Genre Gedanken gemacht, wollten Sie es erneuern?

Ich habe nicht versucht, das Genre zu erneuern. Aber ich habe sicherlich versucht, nicht faul zu sein, über meine Geschichten einmal, zweimal, dreimal nachzudenken. Wenn Sie schreiben, dann ist das, was Ihnen als Erstes einfällt, oft von etwas beeinflusst, was Sie gelesen haben. Also müssen Sie sich als Schriftstellerin fragen: Was, wenn ich in die andere Richtung ginge? Was, wenn meine Figur das Gegenteilige täte? Ich glaube, so findet man zu seinem eigenen Schreiben.

Lesen Sie viele Kriminalromane?

Ich lese mehr „normale“ Romane. Aber wenn man in einem Genre schreibt, sollte man Schritt halten mit dem, was dort passiert. Das Lesen gehört zum Job, wenn man eine gute Autorin sein will. Aber auch wenn ich innerhalb des Genres schreibe, ist es doch mein Ehrgeiz, auf meine ganz eigene Art und Weise zu schreiben.

Interview: Sylvia Staude

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