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Klaus Schöffling: „Dagegen hilft nur, immer bessere Bücher zu machen“

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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„Ich lese im Liegen. Das ist ein ganz harter Test. Wenn das Manuskript nichts taugt, schlafe ich sofort ein.“ Klaus Schöffling im Verlagshaus in Frankfurts Kaiserstraße.
„Ich lese im Liegen. Das ist ein ganz harter Test. Wenn das Manuskript nichts taugt, schlafe ich sofort ein.“ Klaus Schöffling im Verlagshaus in Frankfurts Kaiserstraße. © Rolf Oeser

Verleger Klaus Schöffling über die neue Zeitknappheit, das alte Erbe, das frühere Frankfurt und über sein Lieblingswort.

Herr Schöffling, Sie haben als Lehrling bei Suhrkamp in Frankfurt begonnen, damals dem angesehensten deutschen Verlag. Sie stiegen zum Lektor auf und hegten dennoch den brennenden Wunsch, selbstständig zu werden. Warum?

Es war die Lust, Programm zu machen, Autoren zu fördern, Autoren aufzubauen. Ich wollte mit den Autoren zusammen etwas entwickeln, das hat mich angetrieben.

Wie sah das gesellschaftliche Umfeld aus, in dem Sie als Verleger begannen?

Das städtische Kulturamt war seinerzeit an Literatur nicht interessiert, das ist heute ganz anders. Damals gab es in Frankfurt die beiden großen Tanker Suhrkamp und Fischer, und noch wenige kleine Beiboote. Die Szene ist heute wesentlich vielfältiger. Und heute gibt es den Hessischen Verlagspreis, den Deutschen Buchpreis, das ist eine wichtige Unterstützung.

War die Gesellschaft noch stark von der 68er-Revolte geprägt Ende der 70er Jahre?

Ich empfand das nicht so. Die Protagonisten von 1968 waren zwar noch da, bis auf den Studentenführer Hans-Jürgen Krahl, der früh gestorben war. KD Wolff war noch ein wenig jünger und Joschka Fischer noch ein wenig aufgeregter als heute. Aber zwischen der Politikszene und der Literatur gab es wenig Verbindung.

Sie hatten eine Reihe von Autorinnen und Autoren im Blick, die Sie gerne verlegen wollten, weil Sie dachten, die kommen in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu kurz. Welche waren das?

Vom ersten Programm an gab es immer Entdeckungen. Wir begingen eine lyrische Wahnsinnstat und veröffentlichten 250 Seiten ausgewählter Gedichte von Wolfgang Weyrauch, den man damals gerade noch kannte. Heute kennt ihn leider kein Mensch mehr. Ich wollte Werke, die aus dem Blickfeld geraten waren, wieder neu vorstellen. Es gab unglaubliche Erfolge. Wir haben Autorinnen und Autoren für die Literatur zurückgewonnen.

Zur Person

Klaus Schöffling  wurde 1954 in Frankfurt geboren. Er arbeitete von 1978-1982 als Lektor im Suhrkamp- und Insel-Verlag, wo er sich den Ruf eines Experten für Exil-Literatur erwarb.

Diesen Ansatz haben Sie Ihr ganzes Verlegerleben lang verfolgt. Der Kampf für die Vergessenen, auch für die, die in der NS-Zeit verfolgt oder gar umgebracht worden waren. Woher kam diese Vergesslichkeit der Gesellschaft?

Oft waren die Autoren tatsächlich entweder tot oder in der Emigration, weit weg in den USA, selbst in China. Und nach dem Ende des Faschismus waren die Emigrierten die Unbequemen. Sie kamen zurück und haben Forderungen gestellt. Oder sie wussten Sachen zu erzählen, die in der jungen Bundesrepublik nicht so gerne gehört wurden. Viele der Emigranten haben keinen Anschluss mehr gefunden an die neue Gesellschaft. Es gab außerdem eine nachgewachsene junge Literatur in Deutschland, die sich etwa in der Gruppe 47 organisierte. Die wollten mit der Literatur der Emigration nichts zu tun haben und wussten auch oft gar nicht, um welche Personen es da ging.

Sie haben in Ihrem Verlag mit Autoren begonnen, denen Sie Ihr ganzes Verlegerleben treu geblieben sind. Ror Wolf gehört dazu. Warum er?

Weil Ror Wolf einer der ganz großen deutschsprachigen Autoren der vergangenen 50 Jahre ist. Was dieser Mann geschaffen hat in der Literatur und in der Bildenden Kunst mit mehr als 4000 Collagen, ist einzigartig. Es gibt kaum Vorbilder. Er steht einsam für sich. Das hat mich von Anfang an beeindruckt. Dass daraus eine so lange Arbeitsbeziehung erwuchs mit zwei Gesamtausgaben, ist eine wunderbare Erfüllung.

Sie gingen immer wieder zu den Autoren, die abseits des Literaturbetriebes vergessen waren, ich denke an Guntram Vesper, der in Göttingen über einem 1000-seitigen Manuskript brütete.

Er hatte viele Jahre daran gearbeitet. Ich wusste davon. Er hatte mir immer wieder Einblicke gegeben. Eines Tages kam von ihm eine Postkarte: Das Manuskript sei fertig. Schon saß ich im Zug.

„Frohburg“ gewann 2016 den Preis der Leipziger Buchmesse.

Was für einen 1000-seitigen Roman außergewöhnlich ist. Es ist eine Literaturgeschichte und ein Panorama der Nachkriegszeit, in einer anspruchsvollen Sprache. Aber es traf den Zeitgeist.

Warum gibt es so wenige Verlage in Deutschland, die sich wie Sie um das literarische Erbe kümmern? Kann ein Verlag damit kein Geld verdienen?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Geld verdienen kann. Wenn Sie einen Autor aus der großen Gedächtniskiste rausholen, müssen Sie allerdings bei null anfangen. Sie müssen erklären, warum es interessant ist, einen Autor wie Martin Kessel oder Paul Kornfeld wieder zu lesen. Oder Gabriele Tergit, die nie nachhaltig veröffentlicht worden war. Dann haben wir mit den „Effingers“, ihrem zweiten großen Roman, einen größeren Erfolg gehabt als mit dem bekannten Werk „Käsebier erobert den Kuhdamm“. Das einzige verlässliche Kriterium ist die Qualität. Sie müssen ständige Überzeugungsarbeit leisten.

Sie haben im Rahmen des Lesefestivals „Frankfurt liest ein Buch“, das Sie gegründet haben, auch vergessene Werke wieder hervorgeholt, begonnen bei „Kaiserhofstraße 12“ des kommunistischen Autors Valentin Senger …

Dass er Kommunist war, hat mich nie gestört. Die „Kaiserhofstraße 12“ ist ein Frankfurter Urbuch. Es war völlig weg vom Markt. So kam ich auf die Idee, ein Buch in den Mittelpunkt eines Festivals zu stellen. Jetzt haben wir zehnjährigen Geburtstag gefeiert, und wir machen weiter.

Das nächste Buch im Frühjahr 2020 ist „Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind“ von Erich Kuby. War das ein Skandal, als es in den 50er Jahren publiziert wurde?

Das Buch selbst war kein Skandal, aber es erzählte von einem Skandal. Es ging um den Umgang der Nachkriegsgesellschaft mit einer Prostituierten, die dann grausam ermordet wurde, was nie aufgeklärt wurde. Erich Kuby ist nicht als Romancier bekanntgeworden, er hat an die 50 zeitgeschichtliche Bücher geschrieben. Und dann gibt es da diesen tollen Roman. Ich habe Kontakt mit seiner Ehefrau aufgenommen, die tatsächlich noch in Venedig lebt. Sie wird 2020 bei „Frankfurt liest ein Buch“ auftreten. Man muss ein bisschen lesen, um solche Bücher zu finden.

Sind Sie ein fanatischer Leser?

Fanatisch nicht, aber anhaltend.

Täglich.

Ja, das muss schon sein. Wir verlegen ja auch viele Debütanten, da müssen Sie viel lesen.

Wie viele Bücher, wie viele Manuskripte lesen Sie im Jahr? Sie sind hier in Ihrem Büro von Bücherstapeln umgeben.

( lacht ) Da ist vieles noch ungelesen. Das ist sozusagen der Anbau des Verlagsarchivs.

Was nehmen Sie sich jetzt mit in den Urlaub im Süden?

Ich nehme den Briefwechsel Christa Wolf mit Sarah Kirsch mit, weil ich sehen will, wie man so etwas sinnvoll macht. Denn wir haben vor, den Briefwechsel von Sarah Kirsch mit Helga Novak in zwei Jahren zu veröffentlichen. Und ich nehme mir einen sehr bedeutenden polnischen Autor mit, der einen wichtigen Roman geschrieben hat. Mehr verrate ich nicht, die lieben Kollegen sollen selber suchen … ( lacht )

Wie lesen Sie? Sie kommen ja in der Badewanne auf Ideen.

In der Badewanne lese ich nicht. Ich lese im Liegen. Das ist ein ganz harter Test. Wenn das Manuskript nichts taugt, schlafe ich sofort ein.

Zum Verlagsprogramm gehören Kalender, Katzenbücher, Gartenbücher. Die wirtschaftlich sehr erfolgreich sind.

Ja. Die Abteilung mit den Miezekatzen ist wirtschaftlich extrem wichtig. Vor über 20 Jahren hat meine Ehefrau den literarischen Katzenkalender erfunden. Sie kümmert sich um diesen Teil des Verlages. Das macht sie brillant. Mit großem Erfolg. Es ist der bestverkaufte deutsche Kalender überhaupt. Er ermöglicht vieles. Was im Wahn der Literatur entsteht, ist ökonomisch abgefedert. Wir können uns das leisten.

Der Verlag
„Im Mittelpunkt die Autoren“ lautet das Motto des Verlages. Denn unterstützt von zahlreichen Schriftstellern entschlossen sich Ida und Klaus Schöffling Ende 1993 zur Gründung von Schöffling & Co. Mit ihr setzte der Verlag die von dem Verlegerpaar gegründete Frankfurter Verlagsanstalt fort , die im Jahr zuvor von einem neuen Inhaber übernommen worden war.

Der Verlag hat im Laufe der Jahre vielen Debütanten Aufmerksamkeit verschafft, nicht zuletzt die Bücher vergessener Autoren durch Neuauflagen wiederentdeckt. Mit der alljährlich im Frühjahr stattfindenden Reihe „Frankfurt liest ein Buch“ wird ein großes Publikum erreicht.

Sie haben sich vor rund 40 Jahren kennengelernt.

Ja. Ida war meine Trauzeugin für meine erste Ehe. Relativ schnell haben wir festgestellt, dass wir das anders organisieren müssen. Und haben das dann auch gemacht.

Sie arbeiteten bei Suhrkamp …

… und Ida bei Luchterhand. Sie ist dann zu Fischer gewechselt. Das war 1980. Mein Gott, ist das lange her.

Das war die berühmte Liebe auf den ersten Blick?

Ja. Ich sah sie im Haus meiner Schwiegereltern und wusste: Das ist sie.

Sie sagen: Wir sind bewusst ein kleiner, überschaubarer Verlag.

Überschaubar ist mein Lieblingswort. Zehn Leute machen diesen Verlag. Ich hatte nie den Ehrgeiz, einen großen Verlag mit 200 Angestellten zu führen. Die heutige Größe ist mir gemäß. So wie auch die Größe von Frankfurt zu mir passt. Ich muss nicht in Berlin sein mit seinen vier Millionen Einwohnern.

Die großen Verlage haben eher Probleme.

Ja, sicher. Es gibt nur noch wenige, die unabhängig sind. Die meisten gehören zu großen Konzernen wie etwa Random House.

Sie haben erlebt, dass ein großer Verlag Ihnen eine Autorin wegschnappte, die Sie aufgebaut und gefördert hatten. Das war Juli Zeh.

Ja. Damit muss man immer rechnen. Das ist im Verlagswesen nicht anders als in der Bundesliga. Irgendwann kommt Random House um die Ecke oder Bayern München. Und macht ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Die Autorin wäre blöd gewesen, das nicht anzunehmen. Dass das bitter ist und wehtut, ist keine Frage.

Sie sind 65 Jahre alt geworden. Sie hatten vor einiger Zeit schon einen Nachfolger im Verlag.

Wir haben es versucht. Aber es hat nicht geklappt. Das ist leider so. Aber es gibt interessante Bewerbungen.

Konnten Sie nicht loslassen?

Das war, glaube ich, nicht das Problem. Es hat einfach nicht gepasst. Die Qualifikation war nicht die, die da sein muss.

Was hat der Verleger Klaus Schöffling noch vor?

Ich möchte den Verlag noch eine Weile weiter führen. Und dann möchte ich ihn in dem guten Zustand, in dem er ist, in jüngere Hände weitergeben. Dieser Verlag fühlt sich nicht wohl in einem großen Konzern. Unabhängigkeit ist wichtig. Dieser Verlag schreibt seit vielen Jahren schwarze Zahlen. Ich habe den Mietvertrag für diese Etage direkt am Frankfurter Hauptbahnhof um zehn Jahre verlängert.

Sie haben alle technischen Umbrüche bewältigt?

Mit mittelgroßer Begeisterung.

Das Hörbuch ist ein Minderheitsprogramm geblieben?

Ja. Das betreiben wir auch nicht selbst, sondern wir vergeben Lizenzen. Das E-Book vertreiben wir selbst, das hat bei uns einen Anteil von fünf, sechs Prozent am Umsatz, mehr nicht. Da ist eine Grenze erreicht.

Wichtig für Sie ist, dass das Netz der Buchhandlungen relativ stabil ist.

Es gibt da schon einen starken Konzentrationsprozess. Die großen Läden schrumpfen. Und schauen Sie sich Frankfurt an: Früher gab es in der Goethestraße sieben Buchhandlungen. Heute gibt es in der ganzen Innenstadt noch zwei Buchhandlungen. Es bleiben noch tolle Buchläden in den Stadtteilen.

Bleibt das literarische Publikum?

Ja. Aber es wird nicht wachsen. Die Angebote in den sozialen Medien wachsen immer weiter. Das geht auf Kosten des Lesens.

Die Forscher sagen ja, dass die Leute es immer weniger fertigbekommen, das Lesen noch in ihren Alltag zu integrieren.

Ja, sicher. Man hängt vor der Glotze. Und man hat viele Streamingdienste. Aber man kann mit Büchern immer noch wunderbare Erfolge feiern.

Ist der Roman am Ende Luxus in der Gesellschaft?

Nein. Der Roman ist nach wie vor unverzichtbar. Genauso wie die Oper oder das Kino. Aber man muss sich mit weniger Zeit einrichten. Da ist zu viel Konkurrenz entstanden. Dagegen hilft nur, immer bessere Bücher zu machen. Literaturvermittlung funktioniert im Grunde noch wie vor fünfzig Jahren. Nur aus dem Fernsehen ist sie fast verschwunden.

Und das Internet?

Das Internet blubbert so vor sich hin auf einer Million Kanälen. Ich habe mir einige Blogs angeschaut und bin oft entsetzt über die mangelnde Qualität. Es gibt nur sehr wenige gute Internetangebote.

Interview: Claus-Jürgen Göpfert

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