Kim Sebastian Todzi: „Unternehmen Weltaneignung“ – Deutsche Ware fürs „Congogebiet“

Imperiale Globalisierung: Kim Sebastian Todzi belegt in seiner Studie „Unternehmen Weltaneignung“ das detailreiche und massive Einwirken des Woermann-Konzerns auf Bismarcks koloniale Politik.
Der 14. Juli ist ein besonderer Tag. In Paris seit 1789 sowieso. Aber im Jahr 1884 ist der 14. Juli auch in der kamerunischen Hafenstadt Douala ein ganz wichtiges Datum. Dort liest Gustav Nachtigal, eigens ernannter Reichskommissar für Westafrika, an diesem Vormittag einen Text vor, der weitreichende Folgen hat: Als „Schutzvertrag“ bezeichnet, wird er das Dokument sein, auf das sich die deutsche Kolonialherrschaft in Kamerun einem Gründungsakt gleich stützte.
Der Historiker Kim Sebastian Todzi setzt die Szene vom 14. Juli 1884 an den Anfang seiner ausgezeichneten Studie über das „Unternehmen Weltaneignung“, die Geschichte des Woermann-Konzerns und des deutschen Kolonialismus. Ein aufschlussreiches Beispiel, das für Todzi zeigt, dass man über Globalisierung nicht sprechen sollte, ohne auch die Verbindung zu Kolonialismus und Imperialismus zu schaffen.
Wenn es um den Kolonialismus der Deutschen geht, ist oft von der Konkurrenz mit Geschäftemachern aus anderen europäischen Ländern die Rede, die auf überseeischen Gebieten ihren wirtschaftlichen Interessen nachgingen. So heißt es noch 1987 in der Festschrift zum 150-jährigen Bestehen des 1837 gegründeten Handelshauses C. Woermann: „Je mehr der deutsche Einfluss Ende des 19. Jahrhunderts an der westafrikanischen Küste wurde, desto mehr verschärfte sich die Konkurrenz mit den Engländern und Franzosen, die dort zum Teil die älteren Rechte hatten.“ In diesem Augenblick sei „Reichskanzler Otto von Bismarck nicht mehr daran vorbeigekommen, eine Konzeption für den Schutz der deutschen Handelsinteressen zu entwickeln“. Bismarck entschied sich dafür, das Begehr der Handelsunternehmen zur eigenen Sache zu machen und „Schutzgebiete“ für Interessen deutscher Geschäftsleute zu schaffen.
Auf diese Weise griffen deutsche Behörden, bilanziert Todzi in seinem Buch, „in die wirtschaftlichen Verhältnisse Kameruns ein“. Sie nutzten Vereinbarungen, die Hamburger Unternehmen, Woermann etwa, längst mit Händlern der Duala an der westafrikanischen Küste abgeschlossen hatten. Diese traten als Mittler, Middlemen genannt, bei Geschäften zwischen örtlichen und europäischen Händlern auf. Den Gründungsakt am 14. Juli begleiteten Salutschüsse des deutschen Kriegsschiffes „Möwe“.
Todzi beleuchtet das Familienunternehmen Woermann in seinem Buch von Anfang der 1880er Jahre an und berichtet vom gezielten Aufstieg eines Mannes, der entschieden die Nähe zur Politik sucht. Die Rede ist von Adolph Woermann, der knapp drei Jahrzehnte an der Spitze des Unternehmens stand. Er machte aus der von seinem Vater übernommenen Firma „das größte deutsche Handelsunternehmen in Westafrika“. Unter seiner Ägide entwickelt sich das Unternehmen „aus einer kleinen, auf Leinenhandel mit Südamerika spezialisierten Handelsfirma“, zu einer im Hamburger Geschäftsleben „fest etablierten, weltweit agierenden Kaufmannsreederei“.
Mit einem von ihm verfassten Schreiben hatte Adolph Woermann 1883 über die Handwerkskammer Hamburg Druck auf die Regierenden in Berlin ausgeübt: Nur durch seine energische Initiative wurde aus einer „Denkschrift“ schließlich „ein nachdrücklicher Appell an die Reichsregierung“. Woermann wollte bis ins Detail auf Entscheidungen Bismarcks Einfluss nehmen und in Westafrika Macht gewinnen: Man könne, schätzte er, „im Congogebiet für deutsche Manufacturwaaren einen Absatz erzielen, der sich auf ca. 60 Millionen M. beziffern lässt“.
Das Buch
Kim Sebastian Todzi: Unternehmen Weltaneignung. Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus. Wallstein 2023. 503 S., 38 Euro.
Todzi hält die Denkschrift für „eine wichtige Etappe auf dem Weg zur kolonialen Annexion Kameruns“. Bismarck hatte zunächst keine Verwaltungskolonien anstreben wollen. Schließlich gibt er dem Druck nach und entschließt sich, deutschen Kaufleuten den Schutz des Reiches für private Erwerbungen in Afrika zu bieten. 1884 wird „Deutsch-Südwestafrika“ die erste Kolonie des Kaiserreichs. Woermann, das zeigt Todzi, war bei der Gründung des Kolonialreichs Mitte der 80er Jahre maßgeblich beteiligt.
Neben Textilien gehörten in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre Spirituosen zu den Waren, mit denen Woermann in Afrika üppige Erlöse erzielte. Woermann berichtete, Schnaps mache zehn bis zwölf Prozent an den Exporten seines Unternehmens aus. Eine Praxis, die nicht nur unter Missionaren umstritten war und auch im Reichstag mehrmals kritisch zum Thema gemacht wurde.
Todzi beschreibt, wie Woermann seine Geschäfte mit einer zum Unternehmen gehörenden Reederei erweitert – künftig sollte man mit „Woermann“ auch eine Aktiengesellschaft in Verbindung bringen, die auf die Dampfschifffahrt setzte. Mit der Gründung der Woermann-Linie 1885 wurde der Konzern „zu einem Motor imperialer Globalisierung“.
Der privat gelenkte Woermann-Konzern und die deutsche Kolonialpolitik gingen eine „geradezu symbiotische Verbindung“ ein, urteilt Todzi. Diese erreichte im Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama im heutigen Namibia von 1904 bis 1908 „ihren Höhepunkt“. Dabei wurden „die Woermann-Linie und ihre Leitung zu Ermöglichern des Völkermordes“, bei dem bis zu 100 000 Menschen starben. Die Reederei hatte für den Nachschub an Truppen, Ausrüstung und Pferden der deutschen „Schutztruppen“ gesorgt. Zudem beutete das Unternehmen kriegsgefangene Herero und Nama als „Zwangsbeschäftigte“ in Häfen aus. Und profitierte: Etwa 26,5 Millionen Mark flossen zwischen 1904 und 1908, den Jahren des Genozids, auf die Haben-Seite der Firma.
Angefangen hatte alles am 14. Juli 1884. Ein ganz besonderer Tag. Der Tag, an dem der Reeder Adolph Woermann sich bei Kanzler Bismarck durchgesetzt hatte: der Beginn des deutschen Kolonialismus. Bismarck bemühte sich darum, wie es die Festschrift „Wagnis Westafrika“ zum 150. Jubiläum des Unternehmens C.Woermann 1987 bewertet, „den Schutz der deutschen Kaufleute durch das Reich mit einer liberalen Handelspolitik zu verbinden“.
Keine Festschrift, eine lesenswerte Studie hat der Historiker Kim Sebastian Todzi jetzt vorgelegt. Sie macht klar, dass private Unternehmen entscheidend an der deutschen Kolonialpolitik und ihren verhängnisvollen Folgen beteiligt waren.