Kerstin Ruhkieck: „In deinen Augen der Tod“ – Heldin. Komplizin?

Kerstin Ruhkieck erzählt von der Überlebenden einer Geiselnahme.
Sternenhagel“ heißt die Bar im Souterrain, in der Olivia gerade noch einen Cocktail trinkt – eigentlich ist es schon einer zu viel –, als Schüsse fallen. Vier Männer nehmen die Gäste als Geiseln, fordern eine Menge Geld, haben keine Skrupel, immer wieder eine Geisel zu erschießen. Als das SEK nach eineinhalb Tagen das Gebäude stürmt, sterben wegen Sprengfallen an den Türen noch mehr Menschen, darunter auch Polizisten.
In der Bar mit dem poetischen Namen überlebt als einzige Olivia, ist schwer verletzt, liegt lange in Hannover im Krankenhaus. In dieser Zeit schließt ganz Deutschland, wie es in den Medien heißt, das „Sternenhagel-Mädchen“ ins Herz. Bis Zweifel an ihrer Geschichte, Verdächtigungen gepostet werden, die Internet-Jagd auf sie beginnt. Plötzlich soll sie eine Komplizin der Männer gewesen sein, denn war sie nicht viel zu kühl und gefasst bei ihrem Talkshow-Auftritt? Und was ist mit dem Video, das sie im Auftrag der Geiselnehmer gedreht hat?
Das Buch
Kerstin Ruhkieck: In deinen Augen der Tod. Thriller. Emons Verlag, Köln 2022. 400 S., 16 Euro.
Kerstin Ruhkieck, geboren 1979, zwingt in ihrem Thriller „In deinen Augen der Tod“ das Splatter-Grelle und das behutsame, sprachsensible Porträt einer Traumatisierten überraschend und recht brutal zusammen. Letzteres – die Darstellung der sich in ihrem Heimatdorf erholenden, aber auch von Panikattacken geplagten jungen Frau – bekommt einen so großen Erzählvorsprung, dass die ausführliche Beschreibung des Sterbens in der Bar umso mehr erschreckt. Und in dieser Drastik unnötig erscheint in einer insgesamt so nuancierten und klischeefreien Figurenzeichnung.
Denn über weite Strecken des Romans geht es um die zarte, dabei mehr als nur ein wenig seltsame Beziehung zwischen Olivia und Julian, die sich vielleicht lieben, aber keine Liebesbeziehung haben. Dafür hätte Malte gern was mit ihr, fühlt sich ermutigt, dann wieder zurückgewiesen. Und drängt sich Olivia auf, als sie nach Krankenhausaufenthalt und Reha zurückkehrt nach Obderwede. Ist der unauffällige Malte harmlos? Ist er es nicht? Jedenfalls will sie ihn nicht in ihrer Nähe haben, gibt aber nach, als sie Hilfe braucht. Denn Julian ist ohnehin verschwunden, angeblich zum Studieren in die USA gegangen.
Olivias Vater versinkt in einem Pflegeheim in der Demenz. Alte Bekannte, ehemalige Freunde bleiben auf Abstand. Jemand hat „Mörderin“ an ihre Haustür geschmiert. „Wer hat das getan? Der Typ, der mir gestern die Kartoffeln Lorraine gemacht hat? Die Enkelin der neugierigen Frau Bodenwald, angestachelt von ihrer Oma, dem ,Sternenhagel-Mädchen‘ einmal näherzubringen, was das Dorf von ihrer Rückkehr hält.“ So erzählt „In deinen Augen der Tod“ von einer psychischen Ausnahmesituation und davon, wie schnell man unverschuldet in sie geraten kann, erzählt von der Wankelmütigkeit der Welt, am Ende der Gleichgültigkeit jener, die unversehrt und in Sicherheit leben.