Sie kennen uns besser als wir sie
Bergauf mit Rückenwind: Ein Blick auf chinesische Bestseller-Listen, auf denen sich viele westliche Bücher finden.
Auch in China werden Bestseller-Listen geführt. Die neueste Ausgabe von „Publishing Perspectives“ ermöglicht uns einen kleinen Einblick in sie. Sie basieren auf der Auswertung von Daten von 3435 Geschäften in 1410 Städten und verschiedenen Online-Anbietern.
Nummer eins der Belletristikbestseller ist im Mai 2018 ein Buch, das sich auch in Deutschland gut verkaufte, nämlich der Roman „Leben!“ von Yu Hua, dessen deutsche Fassung schon 1998 erschien. Die Liste versammelt also nicht nur Neuerscheinungen. Von den Ausländern sind am erfolgreichsten die auch bei uns beliebten Krimis des Japaners Higashino Keigo. Unter den ersten 30 Titeln ist er mit vier Büchern vertreten. Der zweitbeliebteste Ausländer ist Gabriel García Márquez, dessen „Hundert Jahre Einsamkeit“ auf Platz 10 der Bestsellerliste steht, während „Liebe in den Zeiten der Cholera“ die Liste auf Platz dreißig abschließt.
Der Philosophie-Roman „Sofies Welt“ des 1952 geborenen Norwegers Jostein Gaarder, der in den Neunzigern die Bestsellerlisten der westlichen Welt stürmte, steht heute in China auf Platz 13. Im April stand er noch auf Platz 20. Leider erfährt man aus der Liste nichts über die Auflagenzahlen, geschweige denn über die Autorenhonorare. Man stellt sich natürlich gigantische Verkäufe vor und freut sich über die Riesensummen, die da auf das Konto des sympathischen Willy-Brandt-Preisträgers purzeln mögen.
Die chinesischen Leser scheinen sich vom Rest der Welt nicht signifikant zu unterscheiden. Das belegt eindrücklicher noch als die Tatsache, dass unsere Bestseller auch Bestseller in China werden, der Fakt, dass chinesische Bestseller auch bei uns Bestseller sind. Science-Fiction Romane von Liu Cixin – „Die drei Sonnen“ – belegen die Plätze vier, fünf und sechs der Liste. Der 1963 geborene Autor hat gleich neun Mal den höchsten chinesischen Preis für Science-Fiction gewonnen. Barack Obama outete sich als Liu-Cixin-Fan. Vergangenen Herbst erschien von ihm die Novelle „Spiegel“ auf Deutsch und im August warten seine Fans auf „Weltenzerstörer“.
Und bei den Sachbüchern? Auf Platz Eins steht ein Titel, der alle Vorurteile über China bestätigt: eine Biografie des jungen Staats- und Parteichefs Xi Jinping. Erschienen im Verlag der Zentralen Parteischule. Auf Platz Zwei allerdings ein Buch, das ich mir bestellen werde. „30 Minuten Weltgeschichte im Comic“ von Chen Lei. Ein wahrscheinlich ganz anderer Blick auf: „Wie wir wurden, was wir sind.“
Der Erziehungsberater von Jane Nelson erfreut sich auch in China großer Beliebtheit und Kelly McGonigal „Bergauf mit Rückenwind: Willenskraft effizient einsetzen“ steht auf Platz 12 der Sachbuchbestenliste. Langsam begreift man, dass die Chinesen dabei sind, uns deutlich besser zu kennen als wir sie. Hoffen wir, dass sie Marshall B. Rosenbergs „Gewaltfreie Kommunikation“ (Platz 14) mehr beherzigen als wir das tun.