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Katharina Hacker: „Über Leben mit Tier“ – Was jedenfalls nicht vom Wolf abhängt

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Von: Judith von Sternburg

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Was mag in der Blaumeise in diesem Moment vorgehen.
Was mag in der Blaumeise in diesem Moment vorgehen. © imago images/imagebroker

„Über Leben mit Tier“: Katharina Hacker schreibt in aller Kürze über Lebewesen wie Menschen, Meerschweinchen, Hunde und Hühner.

Hier geht es um Blaumeisen, die einen Zilpzalp nachahmen, jedenfalls „in etwa“. Um Meerschweinchen, die bei jedem Bissen aus der riesigen Menschenhand überlegen, ob sie beim nächsten nicht doch einmal in diesen enormen Finger beißen sollen. Um einen Hund in einer ukrainischen Stadt, der nach einem Raketenbeschuss in Schockstarre verfallen ist. Um das Huhn von Bertrand Russell, das zu spät begreift, dass der nette Mensch, der es täglich füttert, ihm an einem Tag, der genauso aussieht wie all die anderen, den Hals umdreht. Auf dass Hühner und Menschen lernen mögen, sich einen genaueren Begriff von Induktion zu machen, selbst wenn es ihnen nicht helfen wird, nicht den Hühnern, nicht den Menschen.

In Katharina Hackers jüngstem Roman, „Die Gäste“ (S. Fischer 2022), haben sich einige Tiere schon lebhaft ins Gespräch gemischt, vor allem ein Hund namens Pollux. Andere – die militanten Ratten im Keller – führen ein durchorganisiertes Leben wie im Märchen. Alle Anwesenden sind jedenfalls mit den Schwierigkeiten befasst, die die Existenz auf der Erde teils schon immer mit sich bringt, teils vermehrt in Hackers diskreter Science Fiction – Science Fiction von übermorgen, mit weiteren Pandemien, weiterem Klimawandel. Für die Steine sind solche Veränderungen weniger wesentlich, so dass die scharfe Grenzen nicht zwischen Mensch und Tier verläuft, sondern zwischen allem, was einen Stoffwechsel hat, und dem übrigen.

In ihrem neuen Buch formuliert Hacker es zwischendurch so: „Die Lebendigkeit eines Kunstwerks, sei es der Literatur oder Musik oder Malerei, hängt vom Betrachter und vom Künstler ab, und die Lebendigkeit eines Tieres (einer Pflanze, eines Menschen) hängt vom Tier ab (von der Pflanze, dem Menschen), daran kann es doch keine Zweifel geben, oder etwa doch?“ Vor der Schlussvolte mit ihrem typisch Hackerschen Aufheben aller zuvor ausgesprochenen Sicherheit ein kleines Programm: Ein Buch im Regal ist nichts, bevor es nicht jemand herausnimmt und liest. Die Blaumeise ist etwas und wenn sie bloß einen Zilpzalp imitiert.

Hier geht es um Lebewesen und ihren Blick auf sich und auf die Welt. Lebewesen sind immer einzelne, auch wenn es jeweils viele weitere von ihnen gibt. Die Hündin Agathe, schreibt Katharina Hacker, sei als Individuum unersetzbar, als Art aber schon. Lebewesen beziehen sich aufeinander, eine aufregende Selbstverständlichkeit. Menschen haben Tieren dabei nur theoretisch etwas voraus. Praktisch hinken sie hinterher. „Ob der Mensch des Menschen Wolf, hängt jedenfalls nicht vom Wolf ab.“

Das Buch

Katharina Hacker: Über Leben mit Tier. Berenberg, Berlin 2023. 112 Seiten, 20 Euro.

„Über Leben mit Tier“ ist ein wunderliches kleines Buch, in seinen sentenzhaften Passagen ist es eine Spur altmodisch, nein, nicht altmodisch, sondern so modern, wie einmal die Romantikerinnen und Romantiker modern waren – versponnen nämlich und zugleich ganz aus der Welt von heute, in der wir leben und auf anderes Leben reagieren. Prosa, die in Verdichtung und gelegentlich im Zeilenumbruch so nahe an Lyrik kommt, wie Prosa es nur kann. Kein Text ist dabei länger als eine Seite, die meisten sind viel kürzer. „Minutenessays“ hat Katharina Hacker diese extrem komprimierte Form genannt, als sie vor drei Jahren den ebenso strukturierten Band „Darf ich dir das Sie anbieten?“ herausgab.

Beobachtungen, Anekdoten (wie sie als Kind in Frankfurt mit einer tödlich verletzten Schildkröte bei Bernhard Grzimek vorsprach), Überlegungen und Aphorismen: Katzen- und Hundeliebhaber und -liebhaberinnen kommen auch ganz unmittelbar auf ihre Kosten, ebenso sind die Kenntnisse über Meerschweinchen und Hasen aus allererster Hand. Das Silberfischchen kommt zu Ehren, von dem die meisten von uns zuerst durch eine Großmutter gehört haben, um es dann, wenn sie es selbst sehen, sofort zu erkennen, „dem Namen nach“. Andere sieht man nie und weiß vielleicht dennoch, wovon Hacker spricht. „Das traurige Tier“, auch genannt „das graue Tier“, zum Beispiel.

Aber es braucht kein eigenes Tier, um froh und frappiert durch die Seiten zu stromern, es genügt völlig, ein Lebewesen zu sein, um nicht zuletzt Hackers feinem Humor etwas abzugewinnen. Die Erzählerin denkt über ihre komplexe Liebe zu Tieren nach, überhaupt über die Liebe und wie verlässlich sie ist und so weiter. „Das Tier ginge lieber spazieren. Etwas zu fressen, würde es auch erfreuen.“ Und für „Tier“ können Sie hier viele Namen einsetzen.

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