Julia Trompeter: „Versprengtes Herz“ – Das ungeborene Land

Wo die Traurigkeit währt, ist die Sehnsucht nicht weit: Julia Trompeter sucht in ihrem Lyrikband „Versprengtes Herz“ auf Müllplaneten nach der Freiheit.
Müdigkeit ruht über den winterlichen Feldern, Regen zieht vorüber. Und ein Ich treibt in „Gedanken: zu weit / zu nah, zu fern, zu weg“. Unter dem Schleier dieser nebulösen Melancholie lässt sich in der Tat nur weniges festhalten. Wo Träume im Flusslauf davonschwimmen, wo Kaffee irgendwo in einem Zimmer gefriert und Stücke vom Herzen abhanden kommen, lässt die Vergänglichkeit nichts unberührt. Unter ihr zerbröselt die Welt. Wohl auch deswegen scheint der Abfall omnipräsent zu sein.
„Überall Müll“, lesen wir in Julia Trompeters neuer Lyrik, „das Meer ertrinkt in / Müll Fisch laicht Müll ab (...) / Müll im Weltall, Müllsterne, Müllplaneten“. Nicht einmal die letzte, nur vermeintlich uneinnehmbare Bastion des Menschen, das Sprachbewusstsein, bleibt von der Schwemme des Unrats unberührt: „Ich mülle Zeichen / banne sie auf Elektromüll, gebe Müll auf den / Müll (...) Mültiple Kommüllitonen, genmüllipulierte Müllizen / müllitante Müllguerilla im Mülliversum“.
Züm Glück fündet süch abseits dieser selbst Vokale verschluckenden Aufzählung aus Schrott und Überresten noch die Sehnsucht. Sie hält das sich in depressiver Selbstzirkularität labende Subjekt am Leben, das von sich selbst nur noch als „Gemengsel“ schreibt. Mal gilt dessen Suche dem einstigen Geliebten, mal der anscheinend verstorbenen Mutter. Um letztere jedoch gar nicht erst den kosmischen Weiten zu überlassen, gibt die Tochter zu: „Wir haben das Fernglas verlegt / Nicht aus Verlegenheit, sondern aus Liebe“, die sich eben ganz der Bewahrung der Nähe verschreibt.
Das Buch
Julia Trompeter: Versprengtes Herz. Gedichte. Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2023. 88 S., 22 Euro.
Wie das feine Wortspiel dieser anmutigen Verse andeutet, wartet der Band „Versprengtes Herz“ nicht nur mit Schwermut auf. In einem Bad geht alle Last des Daseins in Schaum über, wenige Seiten danach malt sich eine Frau aus, nach ihrer Wiedergeburt endlich auf einen attraktiven Mann vom Typ Bademeister zu treffen. Besondere Heiterkeit kommt über das bald das Licht der Welt erblickende eigene Kind auf. „Du mein, ungeboren Land“, lautet die pathetische Begrüßung von „Mariechen“.
Auch wenn die Qualität der einzelnen Miniaturen bisweilen etwas heterogen ausfällt, zumal manchen Texten in ihrem erzählerischen Duktus formal kaum noch eine poetische Aura bleibt, besticht die aktuelle Dichtung der 1980 in Siegburg geborenen Autorin vor allem durch eine Eigenschaft: die Authentizität. Autobiografisch grundiert, zeugen die Texte vom Versuch, nicht an den unzähligen Verlusterfahrungen, die sich im Laufe der Jahrzehnte einstellen, zugrunde zu gehen.
Auf der einen Seite konserviert das dichterische Wort jeden Abschied, auf der anderen lädt es immer wieder zu neuen Aufbrüchen ein: „Denn Lyrik in die Form gestopft, die bäumt sich auf / ist wie ein wilder Charleston in Guantanamo“. Mit ihr lässt sich die Trauer genauso wie die Freude erfassen. Vielleicht weil sie sich eben als der literarische Hort der (momentan so gefährdeten) Freiheit erweist. Julia Trompeter hat uns dessen Tore geöffnet, mit reichlich Hingabe und dem Mut, der eigenen Verletzlichkeit Raum zu geben.