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John le Carré „Silverview“: Die Wärme der Körper

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Von: Sylvia Staude

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John le Carré, bis zuletzt ein Meister.
John le Carré, bis zuletzt ein Meister. © (c) White Hare

„Silverview“, ein nachgelassener Roman des großen John Le Carré, ist keineswegs eine Resteverwertung.

John le Carré hat alle seine Romane als hellsichtiger Menschenfreund geschrieben, sie bevölkert mit lebenswarmen Figuren. Ihr Ton ist oft ironisch, aber kühl ist er nicht. Wobei die Ironie vor allem den Machtstrukturen im Geheimdienst gilt, den Eifersüchteleien, den Rivalitäten. Nie gilt sie dagegen denjenigen, die in Ausübung dessen, was gern Pflicht genannt wird, Anteilnahme, ja Barmherzigkeit zeigen. Oder sich verlieben – denn ja, es geht wundersamerweise auch immer um die Liebe in den Büchern des großen Briten.

In diesen Tagen ist „Silverview“ erschienen, ein weiterer Beleg für die Kunst des Autors. Ein letzter, nachgelassener Beleg, denn John le Carré ist im vergangenen Dezember gestorben. Man könnte eine Resteverwertung befürchten, doch scheint „Silverview“ von ihm noch aufs Feinste durchgearbeitet worden zu sein. Inklusive Liebesgeschichte, die hier auch die Liebe zu den Büchern einschließt.

Denn Julian Lawndsley, 33, ehemals ein „teuflischer Trader“ in der Londoner City, wurde von der „Metallmüdigkeit“ erwischt, hat die Brocken hingeschmissen und ist aufs Land, nach East Anglia, gezogen, um dort einen Buchladen zu eröffnen. Er hat nicht gerade viel Ahnung von Literatur, aber erstens geht es bei ihm längst nicht mehr ums Geldverdienen, zweitens taucht ein gewisser Edward Avon bei ihm im Laden auf, ein weißhaariger Gentleman, belesen und hilfsbereit. Dass er Julian sogleich W. G. Sebalds „Die Ringe des Saturn“ empfiehlt, als „Pilgerreise, die im Marschland von East Anglia beginnt“, entzückt die Rezensentin zusätzlich. Die beiden Männer baldowern bald das Projekt einer „Literarischen Republik“ aus, mit allem, was literarisch der Bewahrung wert ist.

Das Buch:

John le Carré: Silverview. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Ullstein, Berlin 2021. 256 S., 24 Euro.

Aber hat Edward Avon noch andere Gründe, den Computer in Julians Keller benutzen zu wollen, als für Bücher- und Wertvolles-Porzellan-Recherche? Jedenfalls scheint sich Stewart Proctor, „oberster Hexenjäger“ des britischen Geheimdiensts, für ihn zu interessieren. Oder für seine an Krebs sterbende Frau? Oder für seine Tochter? Oder sogar für Julian Lawndsley? John le Carré war tatsächlich auch ein Meister darin, Verdachtsmomente im Raum stehen zu lassen, die Dinge bis zum Schluss in der Schwebe zu halten.

Da lachen ja die Hühner

Seine in „Silverview“ in Aktion tretenden Agenten und Agentinnen sind nicht mehr die Jüngsten, aber dank ihrer Erfahrung mit allen Wassern der Professionalität gewaschen. Ihren kühlen Kopf behalten sie, wie Edward Avons Frau Joan, selbst noch auf dem Sterbebett. Oder sie tun so, als seien sie ausgemustert, als sollten sie bloß „Fallbeispiele als Lehrmaterial“ für den Nachwuchs aufbereiten. Da lachen ja die Hühner: Die anderen alten Spionage-Füchse fallen darauf – auf den scheinbar harmlos herumfragenden Proctor – aber natürlich nicht herein. Dabei möchte er (sagt er) das Lehrmaterial nur mit etwas „Körperwärme“ anreichern. Er weiß jedoch, sie nehmen ihm das nicht ab.

Zu ihrem finanziellen Nachteil scheint der Geheimdienstjob nicht gewesen zu sein. Sie leben gutbürgerlich, das geheime grüne Telefon bewahren sie in einem diskreten Eck des großen Hauses und unter einem Teewärmer auf. Freilich erwischt es sie dann und wann, da nützen alle falschen Identitäten nichts. Freilich werden sie, wenn sie Pech haben, auch Zeuginnen und Zeugen hässlichster Vorkommnisse, Kriegsverbrechen etwa. Sich dann hilflos zu fühlen, das mag zum Schlimmsten gehören. Ein letztes Mal also hat John le Carré, stilistisch elegant, von Spionen erzählt, die bereit sind, in die Kälte zu gehen. Die keine besseren Menschen sind als der Durchschnitt, aber auch beileibe keine schlechteren. Die auf rohen Eiern laufen müssen, sich aber nicht beschweren. So dass ihre Umwelt sie für Langweiler halten könnte. Dagegen hilft, John le Carré zu lesen – immer wieder.

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