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Jörg Bong „Die Flamme der Freiheit“: Nur mit dem Schwert

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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Adolph von Menzel: „Aufbahrung der Märzgefallenen“ von 1848 (bei der Trauerfeier auf dem Gendarmenmarkt).
Adolph von Menzel: „Aufbahrung der Märzgefallenen“ von 1848 (bei der Trauerfeier auf dem Gendarmenmarkt). © epd

„Die Flamme der Freiheit“: Jörg Bong erzählt spannend und deprimierend von der gescheiterten Revolution von 1848.

Wie lässt sich heute Aufmerksamkeit wecken für dramatisches Geschehen, das 175 Jahre zurückliegt? Jörg Bong versucht es in seinem 550 Seiten starken Werk „Die Flamme der Freiheit“ über die deutsche Revolution von 1848 mit einem feinen Instrumentarium. Der frühere Geschäftsführer der S. Fischer Verlage konzentriert sich auf ein überschaubares Tableau von Personen, deren Schicksal er über wenige Monate hinweg verfolgt. Ein packendes Szenario entsteht.

Bong lässt dabei durch seine Auswahl keinen Zweifel daran, wem seine Sympathien gelten. Es sind allesamt Menschen, die damals auf eine durchgreifende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse drängten. Auf Abschaffung der Adelsherrschaft, demokratische Rechte, ein nationales Parlament mit wirklichen Befugnissen. Er verfolgt die Wege und Kämpfe von Georg Herwegh, Robert Blum, Friedrich Hecker, Joseph Fickler, Franz Zitz. Und er begreift Geschichte nicht mehr nur als Handlungsfeld von Männern, sondern zeigt, wie viele Frauen damals kämpften, etwa für das Frauenwahlrecht: Emma Herwegh, Amalie Struve, Louise Aston, Johanna Kinkel und andere.

Als Widerpart der frühen Demokratinnen und Demokraten stehen auf der anderen Seite der Geschichte die Konstitutionellen, die zwar Reformen wollen, zugleich aber an der Monarchie festhalten, einen deutschen Kaiser krönen wollen, die an eine nationale Einheit unter Führung Preußens denken. Da tritt vor allem als „absolute Autorität“ Heinrich von Gagern auf, der auch zum Präsidenten der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche gewählt wird. Dort verfügen die Konstitutionellen über eine Dreiviertel-Mehrheit.

Auf einen engen Zeitraum zwischen Februar und Ende April 1848 drängt der Autor seine Erzählung zusammen. Am Ende sitzt Friedrich Hecker, mit knapper Not nach blutigen Kämpfen ins Exil in die Schweiz entkommen, in einem Gasthof bei Basel und schreibt an einem Resümee dieser wilden Zeit. Sein Fazit: „…. dass der Sieg des Volkes, seine wahrhaftige, nachhaltige Befreiung nur mit dem Schwert konnte bewerkstelligt werden“.

Über die Schwerter und das Militär, das am Ende den Ausschlag gab, verfügten freilich die Fürsten und Könige, allen voran der preußische Herrscher. Und das ist die Botschaft der Niederlage der frühen Demokraten für heute: Dass die Demokratie wehrhaft sein muss, dass sie sich auch konkret wehren muss, in einer Zeit, da demokratische Freiheiten wieder vielfach in Frage gestellt werden. Sei es durch den blutigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, sei es durch das Auftreten von Rechtspopulisten und Rechtsextremen in der Bundesrepublik.

Das Buch:

Jörg Bong: Die Flamme der Freiheit. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 560 S., 29 Euro.

Am 24. Februar 1848 hatte der französische König Louis-Philippe nach seiner erzwungenen Abdankung aus Paris fliehen müssen, getarnt als britischer Staatsbürger William Smith erreicht er auf einem Schiff englischen Boden. Die französische Republik wird ausgerufen. Und diese Bewegung erreicht auch auf der anderen Seite des Rheins den Flickenteppich aus Fürstentümern und Königreichen, aus denen sich Deutschland damals zusammensetzt. Viele, die erst später hervortreten werden, erfasst sie, den jungen Komponisten Richard Wagner ebenso wie den Apothekersohn Theodor Fontane.

Immer wieder kommt es in Deutschland zu Situationen, in denen die Flamme der Freiheit einen Flächenbrand zu entzünden scheint. Zehntausende strömen bei mehreren Gelegenheiten zusammen, etwa am 4. März vor dem Biebricher Schloss in Wiesbaden. Doch nie folgen entscheidende Schritte: Ausrufung der Republik, Organisation größerer bewaffneter Einheiten. So bleibt dem preußischen König, bleibt den Fürsten Zeit, zum Gegenschlag auszuholen.

Diese Reaktion folgt stets demselben Muster: Scheinbar geht der Adel auf die Forderungen der Protestierenden ein, um dann mit Truppen der Revolution den Garaus zu machen. Die Parole: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Bong kommt zu dem Schluss, dass die Aufständischen den rechten Moment zur allgemeinen Erhebung spätestens Mitte, Ende März 1848 versäumt hätten.

So wurde diese deutsche Revolution, die gar keine werden konnte, im Keim erstickt. Mit allen düsteren Folgen: Ein aggressives deutsches Kaiserreich entstand, das den Ersten Weltkrieg provozierte. Und aus der deutschen Niederlage erwuchsen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und der Holocaust.

Es ist ein Verdienst dieses Buches, in Erinnerung zu rufen, wie blutig die Kämpfe in der entscheidenden Phase des Jahres 1848 waren. Im März beteiligten sich auf den Barrikaden in Berlin etwa 4000 Menschen aktiv, 10 000 weitere halfen. Bis zu 300 Zivilisten und Zivilistinnen wurden von der preußischen Armee getötet. Das Militär veröffentlichte nie Zahlen zu eigenen Opfern, Schätzungen gehen von 200 Toten aus. 254 Gräber zählt der „Friedhof der Märzgefallenen“ im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Heute, 175 Jahre nach dem blutigen Geschehen, ist von diesem Gedenkort öffentlich weit weniger die Rede als von der Frankfurter Paulskirche.

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