Jens Sparschuh: „Nicht wirklich“ – Die echte Fiktion

„Nicht wirklich“: Jens Sparschuh, ein zerstreuter Philosoph, eine geforderte Lektorin und die Tücken der Wahrnehmung.
Dieses Buch kann man leicht unterschätzen – und dabei dennoch viel Spaß haben. Jens Sparschuh lässt in seinem Roman „Nicht wirklich“ den Privatdozenten Anton Lichtblau von seinen Versuchen erzählen, sich als Vertretungsprofessor für Philosophie unentbehrlich zu machen.
Lichtblau erscheint als Figur, die immer leicht aus der Spur rutscht, die sie eigentlich verfolgen will. Seine Lebensgefährtin Isabell plagt sich derweilen als Lektorin mit Autoren herum, die sich für große Literaten halten, aber noch nicht mal den Plot für einen Groschenroman anständig abspulen können. Während Lichtblau also nicht der Philosoph geworden ist, der er gern wäre, versucht Isabell ihre Schützlinge dazu zu bringen, reale Regeln innerhalb einer fiktiven Geschichte zu befolgen. Das ist nur ein Aspekt von vielen Spiegelungen, mit denen der Roman arbeitet.
Lichtblaus Verwirrung
Den Rahmen eröffnet Sparschuh mit einer Vorlesung, in der Lichtblau sein Konzept entgleitet; von dort aus erzählt er im Rückblick dessen Lebensweg. Im Falle der Verwirrung rettet Lichtblau ein Zitat des Philosophen Hans Vaihinger: „Es ist ein Merkmal aller echten Fiktionen, Widersprüche zu enthalten.“
Worauf will uns der Autor damit stoßen? Dass es egal ist, ob die Geschichte stimmig ist, die Isabell zu lektorieren hat? Oder legt er vielmehr nahe, seinem eigenen Roman nicht ganz zu trauen? Humor von der Sparschuh’schen Sorte enthält er sowieso: Missverständnisse in Dialogen, Verschiebungen in den Erwartungen und kleine Slapstick-Momente. So wurde Lichtblaus größter wissenschaftlicher Erfolg ein stotternd gehaltener Vortrag: Das Unzusammenhängende, Fahrige wurde als Hommage an Ludwig Wittgenstein interpretiert.
Das Buch
Jens Sparschuh: Nicht wirklich. Ein Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023. 224 Seiten, 22 Euro.
Der zitierte Philosoph Hans Vaihinger (1852–1933) erregte vor rund hundert Jahren viel Aufmerksamkeit mit seinem Hauptwerk zur „Philosophie des Als Ob“. Für ihn war die Wahrheit „nur der zweckmäßigste Irrtum“. Im Roman drängt der Lehrstuhlinhaber seinen Vertreter Lichtblau dazu, ein Buch zu schreiben, um sich das Auskommen bis zur Rente zu sichern. Als dieser gesteht, noch „nicht wirklich“ einen Titel für das erwartete Werk zu haben, gerät jener in Verzückung: „Eine bessere zeitgenössische Übersetzung von als ob gibt es ja gar nicht.“
Jens Sparschuh, selbst Doktor der Philosophie, treibt in raffinierten Schleifen ein Spiel mit Logik und Interpretation, mit Wahrnehmung und ihrer Darstellung. Sobald man ihm da auf die Schliche kommt, macht es noch mehr Vergnügen, seinem Erzählen zu folgen. Oder ihm auf die Schliche zu kommen glaubt? Es beginnt mit der Genrebezeichnung: Auf dem Buchcover steht nicht wie üblich „Roman“, sondern „Ein Roman“. Es geht weiter damit, dass Anton Lichtblau an eine Reise nach St. Petersburg denkt, während derer er Isabell kennenlernte. Allerdings erinnert sie sich ganz anders daran als er.
Das ist ein doppelter biografischer Trick: Nicht nur, dass Jens Sparschuh in seinem Roman „Schwarze Dame“ schon einmal einen Helden von Berlin nach Russland führte. Er selbst studierte Logik und Philosophie in St. Petersburg, als es noch Leningrad hieß. Sein Lichtblau aber scheiterte einst bei seiner Bewerbung für ein Auslandsstudium dort.
Solch merkwürdige Bezüge finden sich vielfach. Zum Beispiel stößt Lichtblau bei der Suche nach philosophischen Titeln auf einen Band namens „Ich dachte, sie finden uns nicht“, erschienen in einem Belletristik-Verlag. Nun, das sind Texte von Sparschuh selbst, herausgekommen im selben Verlag wie „Nicht wirklich“ – ein Roman, mit dem der Autor im Detail und im Ganzen köstlich zu unterhalten versteht.