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Jami Attenberg: „Ist alles deins!“ – Der Präsident war ein Vollidiot

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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Schriftstellerin Jami Attenberg.
Schriftstellerin Jami Attenberg. © Zack Smith Photography

Jami Attenberg erzählt in „Ist alles deins!“, einem Familienroman aus Trump-Zeiten, wie das Leben weitergeht. Bis es nicht mehr weitergeht.

Als Barbra erfährt, dass ihr Ehemann, der skrupellose Immobilien-Mogul Victor, wegen Belästigung und Misshandlung etlicher Frauen verklagt wird, kotzt sie in den Papierkorb. Wischt sich aber dann „den Mund anmutig mit dem Ärmel ab“ und sagt: „Weiter.“ Diese Szene bringt den Roman von Jami Attenberg auf den Punkt. Eine Collage von Short Cuts aus dem Alltag der US-Gesellschaft, manchmal bitterböse, manchmal traurig.

Ist dies nun das Buch zur vergangenen US-Präsidentschaft von Donald Trump? Ja und nein. Natürlich fallen in „Ist alles deins!“ Parallelen zwischen Victor (73) und Donald (75) ins Auge. Das Leben, das die beiden sich aus halb- und illegalen Geschäften gezimmert haben, die Rücksichtslosigkeit, mit der sie Menschen dabei als Baumaterial nutzen. Aber Attenberg ist nicht an Gesellschaftsanalyse interessiert, das große Thema, das ihre bisher sechs Romane grundiert, ist, was sich Menschen gegenseitig antun, Familien insbesondere. So bleibt Trump in diesem literarischen Panorama nur als Hintergrund präsent. „Der Präsident war ein Vollidiot und die Welt zerfiel“, heißt es lakonisch. Und die Menschen müssen damit irgendwie zurechtkommen. Sie gehen unter oder auch nicht.

Victor jedenfalls erleidet einen schweren Herzinfarkt, stirbt im Krankenhaus vor sich hin und bringt so die Familie auf Trab. In den Fluren des Hospitals versucht Barbra sich die Frage zu beantworten, warum sie eigentlich über all die Jahre bei Victor, dem Sieger, dem Schwein, geblieben ist. Tochter Alex eilt herbei, von der gleichen Frage getrieben, die sie ihrer Mutter unbedingt stellen will. Sohn Gary bringt es fertig, nie erreichbar zu sein. Schwiegertochter Twyla, handysüchtig und abhängig von Lippenstiften, setzt sich sogar ans Bett des Sterbenden, mit dem sie ein dunkles Geheimnis teilt. Das, wie sich herausstellt, so geheim gar nicht ist.

Attenberg knüpft ein dichtes Netz aus diesen und anderen Figuren und lässt dabei auch intensiv die Stadt New Orleans mitspielen, noch immer gezeichnet von den Folgen des Hurrikans „Katrina“, voller „Schlaglöcher und Drogen und Gewalt und Korruption, ganz zu schweigen von der wirtschaftlichen Ungleichheit“. Manchmal fallen Schüsse auf der Straße, eine Kugel bohrt sich „in die Rücklehne des Fahrersitzes, genau da, wo ihr Kopf gewesen wäre, hätte sie am Steuer gesessen“. Kugeln, schreibt Attenberg, „ist es egal, wen sie treffen, sie treffen einfach“.

Das Buch

Jami Attenberg: Ist alles deins! Roman. A. d. Engl. v. Barbara Christ. Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2021. 320 Seiten, 24 Euro.

Andererseits gibt es gerade in den Quartieren der Schwarzen noch so etwas wie Nachbarschaft, „das Viertel war eine lebende, atmende Einheit“. Und die Menschen kämpfen um das Bild von der Stadt: Die Statue des Südstaaten-Generals Robert E. Lee ist von ihrem Sockel geholt worden. Auch die erste schwarze Bürgermeisterin von New Orleans taucht auf, die 2017 gewählte LaToya Cantrell. Lakonisch heißt es nur: „Alles lehnte sich zurück und ließ sie mal machen. Soll sie’s versuchen, warum auch nicht.“ Denn die Menschen sind viel zu sehr mit ihrem persönlichen Überlebenskampf beschäftigt. Die Häuser , die nicht völlig verloren gegangen sind, müssen nach dem Sturm repariert werden. Auch Sharon, die schwarze Gerichtsmedizinerin, kämpft um ihr Zuhause. Um ihren Lebensunterhalt. Wie viele ihrer Cousins und Cousinen: „Wir sind der Antrieb dieser Stadt“, denkt sie, „Wir sind die Körper, wir sind die Malocher.“

Sharon hat die Leiche von Victor, dem Siegreichen, auf ihrem Obduktionstisch. Denn in der Sakkotasche des Geschäftsmannes und in seinem Körper fand sich Kokain. So schließt sich der Kreis. Auch Victors Verhältnis zum Tod ist geschäftsmäßig gewesen. Er hielt seinen Körper für lediglich geliehen, allenfalls einen Anzug. Ein Söldner sei er gewesen, erklärt Barbra, der sich genommen habe, was er wollte: „Es gab keine Zeit zu verschwenden.“

Die Stärke des Romans liegt darin, dass Attenberg Fragen unbeantwortet lässt. Wer liest, kann seine eigenen Schlüsse ziehen. Warum hat Barbra den Mann nie verlassen, der sie gewohnheitsmäßig schlug? Vielleicht, weil er „ein Sexmonster“ war? Die bürgerlichen Frauen, die vom Aufstieg träumen, lernen in diesem Buch schon in der Studienzeit, dass ihr Körper auch Kapital bedeutet. Oder, wie es eine Kommilitonin von Barbra ausdrückt, dass ihre Vagina als „ein kapitalistisches Instrument“ eingesetzt werden könne. Barbra immerhin wird eines klar: Weil sie Victor nicht daran hinderte, sie zu schlagen, machte sie den Weg dafür frei, dass er auch andere Frauen schlug. Und sie schämt sich.

Das alles erzählt Attenberg ohne moralischen Furor, geradezu beiläufig. Umso nachhaltiger ist die Wirkung dieser Prosa, die einfach und direkt daherkommt.

Am Ende stößt die Familie den toten Patriarchen buchstäblich aus. „Ihr könnt den Drecksack behalten“, sagt Sohn Gary, als er endlich einmal ans Telefon geht. Das Szenario, in dem der tote Victor dann landet, inszeniert Jami Attenberg als einen makabren Höhepunkt. Und sie lehrt uns, bestimmte Dinge für immer zu hassen. Scotch und Zigarren. Lachsrosa Lippenstifte. Karamellfarbige Lippenstifte. Truthahn mit Maisbrotfüllung. Und den Slogan „Make america great again“. Wer weiß, wofür das noch gut sein wird.

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