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Jakob Wassermann – „Wo man beschützt werden muss, ist man nicht daheim“

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Von: Wilhelm v. Sternburg

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Jakob Wassermann um 1910.
Jakob Wassermann um 1910. © picture-alliance / brandstaetter

Zum 150. Geburtstag des Schriftstellers, Bestsellerautors und verfemten Juden Jakob Wassermann.

Ich bin Deutscher, und ich bin Jude“, schreibt Jakob Wassermann 1921, „eines so sehr und so völlig wie das andere, keines ist vom andern zu lösen.“ Dieses Bekenntnis findet sich in seiner nach ihrer Veröffentlichung vieldiskutierten autobiografischen Schrift „Mein Weg als Deutscher und Jude“, die Marcel Reich-Ranicki in den 70er Jahren ein „großes, ein immer noch ergreifendes Zeitdokument“ nennen wird. Das Buch stammt aus der Feder eines bei seinem Erscheinen 48 Jahre alten Schriftstellers, den Thomas Mann trotz mancher künstlerischer Vorbehalte als „Welt-Star des Romans“ bezeichnet hat.

In den wilhelminischen und in den Weimarer Jahren zählt Jakob Wassermann zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Seine fast 20 Romane – dazu kommen Essays, Novellen, Theaterstücke, Kriminalgeschichten – werden Bestseller und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Bei der Kritik stoßen sie ebenfalls auf ein lebhaftes, allerdings nicht selten geteiltes Echo.

Wenige Wochen vor seinem Tod in der Silvesternacht 1933/34 – Wassermanns Bücher sind in Deutschland inzwischen verboten – lässt der 60-Jährige seinen ängstlichen Verleger Gottfried Bermann Fischer wissen, dass er sich zwar immer noch als „deutscher Dichter“ fühle, aber jetzt wisse, „dass Deutschland keine geistige Heimat“ für ihn sei. Wie kaum ein anderer deutschjüdischer Schriftsteller hat Wassermann, der am 10. März vor 150 Jahren in Fürth geboren wurde, über seine Existenz als Jude und Künstler nachgedacht, geschrieben und an ihr gelitten. Sein Traum von einer Symbiose wird für ihn spätestens seit der Ermordung des mit ihm befreundeten Walther Rathenau – rechtsradikale Freikorps-Mitglieder schießen den Außenminister 1922 nieder – zum Alptraum. Schon wenige Monate vorher schreibt Wassermann den sich bald als ungeheuerliche Wahrheit bestätigenden Satz: „Wer eine Geschichte des Antisemitismus schriebe, würde zugleich ein wichtiges Stück deutscher Kulturgeschichte geben.“

Aus der lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Juden in Deutschland erwächst Wassermanns zweites großes Lebensthema: der Kampf um Gerechtigkeit. „Dem Menschen muss Gerechtigkeit widerfahren“, sagt der junge Idealist Etzel Andergast in dem Roman „Der Fall Maurizius“, „Gerechtigkeit ist wie Geburt. Ungerechtigkeit ist der Tod.“ Die Vergeblichkeit aller Gleichstellungsgesetze hat Wassermann seit seinen Jugendjahren leidvoll erfahren müssen. „Was bleibt?“, fragt er 1921 verzweifelt, „Selbstvernichtung? Ein Leben in Dämmerung, Beklommenheit und Unfreude..., zu wählen zwischen grenzenloser Einsamkeit und aussichtslosem Kampf?“

1908 erscheint Wassermanns vielbeachteter Roman über das Leben des Kaspar (bei ihm: Caspar) Hauser. Der 1828 in Nürnberg aufgegriffene junge Mann, der kaum sprechen kann und dessen Herkunft im Dunkel liegt, wird von der Gesellschaft als Außenseiter gebrandmarkt und schließlich ermordet. Für Wassermann spiegelt seine Existenz das Leben der Juden in Deutschland wider. „Unter keinen Umständen konnte ich zu der Geltung gelangen“, erkennt im Maurizius-Roman der jüdische Intellektuelle Waremme-Warschauer, „die der mittelmäßigste Kopf, insofern er nur nicht das Femezeichen trug, als selbstverständlich zu beanspruchen hatte.“ In seinem ersten Erfolgsroman, „Die Juden von Zirndorf“ (1897), findet sich ein kurzer Vater-Sohn-Dialog, der in den Sätzen gipfelt: „,Hier ist unser Vaterland! Deutschland! Uns beschützt der Kaiser und das Gesetz.‘ – ,Wo man beschützt werden muss, ist man nicht daheim.‘“

Die besondere Tragik vieler deutscher Juden bleibt in den Jahren bis zur Diktatur der Antisemiten, dass sie dem Land ihrer Geburt mit tiefer Zuneigung und nationalem Stolz verbunden sind. Das gilt auch für Jakob Wassermann. Er war ein national denkender Deutscher und im Gegensatz zu vielen seiner intellektuellen Freunde und Kollegen standen ihm revolutionäre Gedanken fern.

Wassermann wird später in München und Wien leben, die letzten Jahrzehnte in seiner prächtigen Villa im österreichischen Bad Aussee. Geprägt haben ihn aber seine fränkische Herkunft und seine harte Jugend. Der Vater „hatte in den Geschäften eine unglückliche Hand“, die geliebte Mutter starb, als er zehn Jahre alt war. Bald kam eine Stiefmutter ins Haus und – so schreibt seine zweite Ehefrau in ihren Erinnerungen – „Hunger und Prügel waren an der Tagesordnung“.

Eine unglückliche Schulzeit, Vagabundenjahre in Fürth, Nürnberg und Zürich („Ich geriet in schlechte Gesellschaft“), qualvolle, dann abgebrochene kaufmännische Lehrjahre bei einem reichen Onkel in Wien und in Freiburg. Das Schreiben ist die Rettung. Wassermanns Fantasie arbeitet unermüdlich, wo immer er ist, im Urlaub am Meer, auf Bergwanderungen mit den Wiener Freunden, im bürgerlichen, von Ehefrauen (zwei) und Kindern (drei) mitbestimmten Alltag eines schließlich wohlhabenden Mannes – kein Tag, an dem er nicht mit seiner kleinen Handschrift an einem Manuskript arbeitet.

Lesen und Schauen

Die Juden von Zirndorf. Roman. Hofenberg Verlag. 220 S., 19,80 Euro.

Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens. Roman. dtv. 480 S., 12,90 Euro.

Der Aufruhr um den Junker Ernst. Erzählung. Hofenberg. 92 S., 16,80 Euro.

Das Gänsemännchen. Roman. Hofenberg. 468 S., 16,90 Euro.

Der Fall Maurizius. Roman. Hofenberg. 376 S., 29,80 Euro. – Außerdem als DVD zu haben: der ZDF-Fünfteiler von 1981.

Joseph Kerkhovens dritte Existenz. Roman. Hofenberg. 520 S., 12,80 Euro.

Wassermann ist kein literarischer Erneuerer wie seine Zeitgenossen Alfred Döblin, Robert Musil, Franz Kafka oder der Ironiker Thomas Mann. Seine Romane sind spannend, aber konventionell, seine Figuren sind Ideenverkünder, dämonische Charaktere und idealistische Helden – da verharrt Wassermann im 19. Jahrhundert der Dostojewskis (mit dem ihn Lion Feuchtwanger einmal etwas zu begeistert vergleicht) und Flauberts. Nietzsche bleibt einer seiner wichtigen Lehrer.

Wassermann schreibt historische und Zeitromane, ins Mythische reichende Märchennovellen, und in seiner Prosa finden sich immer wieder autobiografische Reflexionen. Die aufsehenerregenden Erkenntnisse der modernen Psychoanalyse faszinieren ihn. 1933 äußert er sich in einem Aufsatz für die „Neue Rundschau“ über sein dialogisches Erzählprinzip: „Spruch und Widerspruch, Bewegung und Gegenbewegung, Punkt und Kontrapunkt und endlich das, was man Wahrheit nennt, aber gar nicht Wahrheit ist, sondern eine durch rätselhafte Vermittlung erzeugte Vortäuschung, (ergeben) die Formel, um die Welt auszusprechen und ihre dämonische Vielfalt zu vereinfachen.“

Bis heute haftet Wassermanns Werk der Vorwurf der Trivialität, des „leeren Pomp“ (Thomas Mann), des „Kitschbereichs“ (Hans Mayer), des „Hangs zum Moralisieren“ (Marcel Reich-Ranicki) an. Tatsächlich: Er neigt zum Pathos, seine überbordende Fantasie kann ihn zu ausufernden Schilderungen hinreißen. Manche Bemerkung über die Frauenbewegung löst zumindest in seiner intellektuellen Umgebung Kopfschütteln aus. Er schwadroniert da über die Kraft der Mütterlichkeit und zitiert mit gefälliger Zustimmung aus dem „Zarathustra“: „Alles im Weibe hat eine Lösung: sie heißt Schwangerschaft.“

Kühl ist Wassermanns Haltung zum Ostjudentum, das durch die Pogrome zur Auswanderung in den Westen gezwungen wird – „eine Regung von Brüderlichkeit, ja nur von Verwandtschaft spüre ich durchaus nicht“. Allerdings steht er mit seiner Distanz nicht allein. Viele assimilierte Juden fürchten, die sichtbar tiefe Armut und die orthodoxe Kleidung der Neuankömmlinge aus Polen oder Russland könnte die Klischees der Antisemiten bestätigen. Die Kritik an seinen leichtfertigen Bemerkungen (Felix Weltsch spricht in diesem Zusammenhang von der „allerdunkelsten Stelle in Wassermanns System“) wird verstärkt durch seinen betonten Antizionismus: „Sollen wir Land kaufen und einen Staat gründen? Das hieße uns vernichten.“ Wassermann, eine prominente Stimme im Land, wird natürlich schon weit vor 1933 von den völkischen Antisemiten als der „gefährlichste jüdische Schriftsteller unserer Zeit“ diffamiert.

In München, wo er von dem einflussreichen Schriftsteller Ernst von Wolzogen „entdeckt“ und gefördert wird, für drei Jahre als Mitarbeiter beim „Simplicissimus“ tätig ist (er wird in dem Satireblatt zehn Novellen veröffentlichen), und dann in Wien, wo er einige Zeit als Kulturkorrespondent der „Frankfurter Zeitung“ arbeitet, findet er jedoch Zugang zur damaligen Avantgarde der Literatur, bekommt Anerkennung und schließt lebenslange Freundschaften. Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, mit dem ihn eine besonders tiefe Künstlerfreundschaft verbindet, Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und später Stefan Zweig gehören zu diesem Kreis. Sie schätzen den Autor Wassermann, lächeln gelegentlich über seine vom fränkischen Akzent mitgeprägte Redeflut oder lästern auch einmal über die philosophischen und moralischen Ausflüge in seinen Werken. Wassermann ist seit seinen ersten Bucherfolgen ein wohlhabender Mann. Sein Verhältnis zum Geld (eine Folge seiner Armut in der Jugend) und auch zu Frauen ist nicht unkompliziert.

Das Ende ist bitter. Die sich über Jahre hinziehende, von Prozessen und hohen Geldforderungen begleitete Trennung von seiner ersten, psychisch gestörten Frau, die kostenreiche Hausführung mit Kindern und Personal in seiner Ausseer Villa, die seit Anfang 1933 spärlicher fließenden Honorareinnahmen aus Deutschland, die Trennung vom Fischer-Verlag und eine schwere Diabetes werfen tiefe Schatten auf seine letzten Monate. Zwölf Tage vor Wassermanns tödlichem Schlaganfall in seiner Villa notiert Thomas Mann im Tagebuch: „W. von seiner Hollandreise zurück, sieht sehr schlecht aus und injiziert dreimal täglich Insulin. Seine Angelegenheiten stehen desolat. Er macht den Eindruck eines ruinierten Mannes.“

Der Bestsellerautor von gestern ist seit vielen Jahren fast vergessen. Paradox, aber praktisch alle seine Romane und viele seiner Novellen werden trotzdem in kleineren Verlagen veröffentlicht und sind nach wie vor im Buchhandel zu haben. Nach ihnen zu greifen, bleibt ein spannendes Leseabenteuer. Jean Améry hat über das Werk des Schriftstellers Jakob Wassermann ein schlichtes, aber sehr zutreffendes Urteil gefällt. Er sei, schreibt er, „wahrscheinlich der letzte unter den großen konventionellen Romanciers der Deutschen, der letzte auch, der ,Unterhaltung‘ bot, ohne dabei ein ,Unterhaltungs-Schriftsteller‘ zu sein“.

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