Inkompetenz und Kriegslust
Die CIA und das System Bush
Der Fall der Berliner Mauer, der Bau der indischen Atombombe, die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Nicht-Existenz von Iraks Atom- und Chemiewaffenprogramm - eine eindrucksvolle Liste von Ereignissen mit historischer Bedeutung. Von allen hat die Central Intelligence Agency (CIA), der US-Geheimdienst, erst aus der Zeitung erfahren.
"Wir hatten keine Ahnung", zitiert James Risen, ein Starreporter der New York Times, CIA-Chef George Tenet, als ihn der Vorsitzende des Senatsausschusses für Geheimdienste anrief, um ihn nach dem Wahrheitsgehalt der Meldungen über den ersten indischen Atombombentest zu fragen. Eine Antwort, die Tenet später auf andere Fragen leider nicht mehr gegeben hat, wie Pulitzerpreisträger Risen in seiner kurzen Geschichte der CIA höhnisch anmerkt.
Diese kurze Geschichte der CIA umfasst den Zeitraum der Regierung von Georg W. Bush (oder auch der Regierung von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney, wie das Buch verdeutlicht), und sie gipfelt in jenem Ereignis, das vor kurzem in alle Welt berichtet wurde: Im Januar 2000 hat die CIA an Iran verdeckt Pläne zum Bau einer Atombombe übergeben, will Risen herausgefunden haben. Diese Pläne seien gezielt mit einigen Fehlern versehen worden, um Teheran einen "demütigenden Rückschlag" in seinem Atomwaffenprogramm zu versetzen, allein, schreibt Risen, der russische Wissenschaftler, der die Pläne übergeben haben soll, habe diese Fehler in einem Begleitschreiben an die Iraner ausdrücklich erwähnt.
So amateurhaft und damit unglaubwürdig es klingen mag, die Geschichte der Fehlleistungen der CIA in der Regierungszeit Bush zeigt zumindest eines: Amateurhaftes Verhalten ist der CIA nicht nur zuzutrauen, es ist dort durchaus üblich. Denn der Geheimdienst, oder doch jedenfalls seine Spitze, hat sich nach einer Serie demütigender Fehlleistungen sehr schnell und willig zum Erfüllungsgehilfen einer ideologischen Kriegspolitik gemacht, als deren entschiedenste Verfechter Autor Risen Vizepräsident Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld nennt.
Kurz vor dem zweiten Golfkrieg etwa sandte die CIA in einer Blitzaktion allerlei Agenten nach Irak, um den geheimen Chemie- und Atomwaffenprogrammen nachzuspüren (einen dieser Fälle schildert das Buch sehr detailliert). Die Agenten meldeten einhellig nach Langley zurück: Es gibt keine Belege! Die CIA-Führung hielt dies für unglaubwürdig.
Viel mehr Glauben schenkte sie der Quelle "Curveball", einem Iraker, der dem Bundesnachrichtendienst von fahrbaren Waffenlabors berichtet hatte. Wenige Tage vor der legendären Rede Außenminister Colin Powells vor den Vereinten Nationen über ebendiese Labors, erklärte der BND laut Risen die eigene Quelle nicht nur für unglaubwürdig, sondern für "verrückt". Auf Powells Rede hatte das keinen Einfluss, obwohl man bei der CIA nicht einmal den Namen des Informanten gekannt haben soll. Der BND habe sich geweigert, ihn herauszugeben.
Vor dem Leser entfaltet sich in diesem unbedingt lesenswerten Buch ein Bild der Bush-Regierung, das sich aus vielen anonymen Insiderinformationen sowie aus durchaus bekannten Details zusammensetzt. Es ist das Bild einer Regierung, die den Krieg gegen Saddam Hussein wollte, ohne sich über die Zeit danach Gedanken zu machen. Das Bild eines Geheimdienstes, der sich zum Erfüllungsgehilfen der obskuren Pläne des Verteidigunsministers gemacht hat. Eines Dienstes, der gegen Recht und Gesetz verstößt, wenn er Menschen ohne Anklage und Verteidigung zwischen seinen über die halbe Welt verstreuten Geheimgefängnissen hin- und herfliegt, sie dort foltern lässt oder selbst foltert, wie Risens Zeugen nahe legen.
Mit dem Bild dieses Dienstes entsteht zugleich ein Bild der Regierung George W. Bush, auf deren Geheiß die CIA arbeitet und mit deren Billigung es die Gesetze bricht.
James Risen:State of War. Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration. Aus dem Amerikanischen von Norbert Juraschitz, Friedrich Pflüger und Heike Schlatterer. Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, 249 Seiten 19,95 Euro.