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Ihre schnittlauchgrünen Augen

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Von: Ulrich Seidler

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Gerhard Falkner, hier auf der Frankfurter Buchmesse 2016.
Gerhard Falkner, hier auf der Frankfurter Buchmesse 2016. © dpa

Ausgesuchte Qualität: Gerhard Falkners Roman „Romeo oder Julia“ ist eine Bereicherung für die Shortlist des Buchpreises.

Der Schriftsteller Kurt Prinzhorn ist ein überaus kenntnisreicher Genießer und die Hauptfigur aus „Romeo oder Julia“, dem neuen Roman von Gerhard Falkner, der es auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat. Wir wissen nicht, wie Falkner die Nachricht aufgenommen hat, der selbstsichere Prinzhorn wird solcherlei Angebrachtheiten mit einem kalkulierten Mindestmaß an Wohlwollen zur Kenntnis nehmen.

Prinzhorn kennt sich aus mit Markengarderobe, mit Edelspirituosen, er weiß Frisuren zu interpretieren, wie ein exzellenter Cortado zu schmecken hat, auch sein Blick auf Frauenkörper ist der eines Kenners. Er weiß sich Sex-Gelegenheiten zu verschaffen und ist freudig, leistungsfähig und bewusst bei der Sache. Sally zum Beispiel, eine Bekanntschaft auf einem Schriftstellertreffen in Innsbruck, hat, wie wir sagen würden, grüne Augen. Kurt aber sieht „schnittlauchgrüne Augen, die beim Lachen leicht herumwirbelten.“ Er verfängt sich „einen Augenblick im grünen Gebüsch ihres Blicks“. Oder ihm scheint „durch die Pfefferminzblätter in Sallys Augen ein Lüftchen zu gehen“. Auf den Hintern schaut er ihr selbstverständlich auch, nicht ohne dass ihm der cremefarbene Rock auffiele. „Nur ein unnachgiebiges Schauen“, so macht Prinzhorn sich klar, „führt zu einem ergiebigen Erblicken.“

Mit dem Humor und der Arroganz eines Gebildeten bewegt er sich in den Schriftstellerkreisen, schont sich nicht bei den Gruppenbesäufnissen, ist aber, selbst im Rausch oder beim Sex, immer deutlich auf Distanz zu den anderen, sogar zu sich selbst. Er verhält sich mit einer gewissen literarischen Distinguiertheit gegenüber den profanen Zumutungen und Genüssen der Wirklichkeit.

Sein Terminkalender ist momentan ziemlich dicht, nach Innsbruck führt er ihn nach Moskau, dann nach Madrid. Eigentlich lebt Kurt in Prenzlauer Berg, hat außerdem irgendwo eine Hütte mit Grundstück, die er mit seiner Hände Arbeit herrichtet. Es ist alles im Lot, eingerichtet und ein bisschen abgeklärt. Da bringt ein „seltsames Ereignis“ den nötigen Schwung für eine Romanhandlung.

Kurt findet, als er nach der Abendveranstaltung in sein Hotelzimmer zurückkehrt, ein Büschel Haare in seiner Hotelbadewanne vor. Das war vorher noch nicht da, es muss also jemand – der Länge und dem Vorurteil nach vermutlich eine Frau – in seiner Abwesenheit ein Bad genommen haben. Klingt nach einer Lappalie, die Kurt aber zunehmend verstört, zumal sich die Geschichte nicht aufklären, aber auch nicht so einfach ignorieren lässt. Zumal in den Gang der Ereignisse weitere, gut dosierte Ungereimtheiten eingestreut werden: ein Zettelchen hier, eine Fährte da.

Dass das Ganze irgendwas mit einer unglücklichen Liebe zu tun hat, kann man schon dem Titel des Buches entnehmen. Es ist nicht so, dass der Gang der Handlung übermäßig an den Nerven des Lesers reißt. Zwischendurch legt man den roten Faden gern eine Weile aus der Hand, um den ausgesuchten Formulierungen nachzuschmecken. Und da kommt dann eben doch der Autor ins Spiel, das Feinschmeckerische und Kontrollierte, mit dem Falkner seine Sätze baut. Einen jeden richtet er mit Liebe zum Detail und Sinn für Qualität ein. Es ist, als würde er sich, bevor er einen Punkt setzt, in seinem Satz wie in einem Zimmer noch einmal gründlich umsehen, die Möblierung durch die Worte begutachten, das eine oder andere wegschmeißen, durch ein wertvolleres ersetzen, mit gutem Geschmack aufpolieren oder mit Geschick zweckentfremden. Der Leser kann sich sicher sein, wenn er einen Satz beginnt und lesend das Licht darin anknipst, dass alles an seinem Ort und von ausgesuchter Qualität ist und man sich wohlfühlen wird. Selbst ein fremdes Verb wie zum Beispiel „drallern“ lässt sich, von Falkner fein in Zusammenhang gebracht, als einzig zutreffend goutieren. Drallern, das tun nämlich nachts die von Scheinwerfern angestrahlten Zwiebeln der Basilius-Kathedrale in Moskau vor dem Fenster einer Hotelbar, zumindest tun sie das, wenn der Betrachter schon den einen oder anderen Wodka im Blut hat.

Dieses leicht selbstzufriedene Gefühl der Sicherheit, mit dem sich der Leser durch den Text und Prinzhorn durch die Welt bewegt, ist nun gestört von besagten Innsbrucker Unerklärlichkeiten, von denen es in einer editorischen Notiz auch noch heißt, sie hätten sich tatsächlich so zugetragen. Nicht, dass man es mit der Angst zu tun bekäme, aber man beginnt doch, sich zunehmend über die Routine zu wundern, mit der man auf die Logik der Sprache und auf die Kausalität der Wirklichkeit vertraut. Und darüber, dass man sich auf diesen Illusionen bewegt wie auf einem soliden Boden. Dass Falkner das Rätsel dann mehr oder weniger lustlos auflöst, lässt den Leser mit einem faden Nachgeschmack zurück. Man wird sich was Ausgesuchtes genehmigen nach der Lektüre.

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