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Hoffnung auf politische Veränderungen

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Der amerikanische Linksliberale Studs Terkel schildert in seinem neuen Buch den politischen Aktivismus im 20. Jahrhundert

Von MALTE OBERSCHELP

Flint, Michigan. Seit ein paar Jahren kennen viele diese Stadt in der Nähe von Detroit besser als Rathenow oder Gera. Michael Moore ist in Flint geboren und hat seine Heimatstadt in bald jedem seiner Filme vorkommen lassen - weil sie für ihn das Sinnbild eines asozialen Amerikas geworden ist, seit die großen Automobilkonzerne ihre Fabriken in Billiglohnländer verlegt und Flint zu einer verfallenden Stadt voller Sozialhilfeempfänger gemacht haben.

Doch es gibt auch eine andere Geschichte von Flint, Michigan. Sie steht im neuen Buch von Studs Terkel, dem großen alten Mann des amerikanischen Linksliberalismus. Es heißt Die Hoffnung stirbt zuletzt. Politisches Engagement in schwieriger Zeit und lebt nach Terkels bewährter Rezeptur der Oral History von O-Tönen. Zwei der 40 Stimmen gehören Gewerkschaftsveteranen, die 1936 - fast 20 Jahre bevor Moore das Licht der Welt erblickte - bei General Motors in Flint einen Streik organisierten, der in der US-Arbeiterbewegung zur Legende geworden ist. Damals war Terkel 24 Jahre alt.

Seitdem hat er ein halbes Jahrhundert Radio gemacht, während des Kalten Kriegs reichlich Probleme mit dem FBI gehabt, den Pulitzer-Preis bekommen (1985), zahlreiche Bücher veröffentlicht. Er ließ bereits die Zeitzeugen der Großen Depression, des Zweiten Weltkriegs und der Ära Ronald Reagan zu Worte kommen. Er hat ein Buch über den Tod, den Amerikanischen Traum und eins über das Altern gemacht. Die Hoffnung stirbt zuletzt ist nun eine Art Bestandsaufnahme des politischen Aktivismus im 20. Jahrhundert.

Haben böse Menschen...

Die Streikführer der 1930er Jahre berichten von den Schikanen und Mordanschlägen, denen sie ausgesetzt waren. Ein schwarzer GI beschreibt den Rassismus in den Südstaaten der 1950er, ein Lehrer setzt sich für nicht-rassistische Schulbücher in Mississippi ein. Der ehemalige Bürgermeister von Cleveland erzählt, wie er sich 1978 gegen die Privatisierung der Stadtwerke stemmte, eine Stadträtin aus Chicago kämpft gegenwärtig gegen die Luxussanierung ihres Viertels. Der Folksänger Pete Seeger engagiert sich für einen sauberen Hudson River, ein katholischer Priester für den Regenwald in Panama. Friedensaktivisten pflanzen Getreide in einem Raketensilo und reisen am Vorabend des Irak-Krieges nach Bagdad.

Terkel und seine Protagonisten glauben an das Gute im Menschen, auch wenn ihre Rede über Hoffnung oft abstrakt ist oder gar naiv scheint. "Bei uns meinen viele, man brauche Millionen Menschen, um wirklich etwas zu ändern. Ich weiß, dass eine kleine Gruppe in der Lage ist, spürbare Veränderungen für alle zu bewirken", sagt eine Aktivistin. Trotzdem ist das Buch kein nostalgisches Brevier des Idealismus. Die Lebensgeschichten, die meistens bereits in der Kindheit beginnen, berühren durch ihre Offenheit und die einfachen Sätze, die Terkel aus den Tonbändern herausdestilliert hat.

Nicht umsonst gilt er als der Mann, der Amerika interviewte, und man kann bei ihm immer auch einiges über amerikanische Geschichte lernen. So zum Beispiel wenn er den ebenfalls 92-jährigen Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith über die Parallelen zwischen der Wirtschaftskrise 1929 und der Enron-Pleite reden lässt. Oft taucht in seinem Buch der Name Roosevelt auf, der die Große Depression mit dem Investitionsprogramm New Deal anging und als positiver Gegenentwurf zur Regierung Bush aufscheint. "Wo sind die Roosevelts?" fragt Arlo Guthrie, Sohn des Dust-Bowl-Barden Woody Guthrie. Auch die Vorgeschichte des 11. September ist ein Thema: Viele Gesprächspartner erinnern an das Teheraner Geiseldrama von 1979 sowie die diversen US-Interventionen im Nahen Osten.

Etwas eintönig sind allerdings, ganz anders als bei seinem letzten Buch Gespräche über Leben und Tod, Terkels Auswahlkriterien. Nicht deshalb, weil viele seiner Interviewpartner aus Chicago kommen - auch bei Terkel repräsentiert die Heimatstadt die ganzen USA. Aber bis auf einen republikanischen Kongressabgeordneten und den Bomberpiloten von Hiroshima, der Osama Bin Laden ebenfalls mit Atomwaffen zu Leibe rücken will ("Wir müssen in der Lage sein, diese Hunde zu töten"), kommen alle Beiträge aus dem linken Lager. Wovon aber träumen die Nichtwähler, die Konservativen und Rechtsradikalen? Haben böse Menschen keine Hoffnung?

...keine Hoffnung?

"Es war ein erregendes Gefühl, weil sich da eine Hand voll Arbeiter mit General Motors anlegte, dem größten und mächtigsten Konzern der USA", sagt Genora Johnson Dillinger, die 1936 in Flint als erste Frau auf dem Lautsprecherwagen der Streikenden gestanden hat. Es ist die gleiche Energie, die in den Sätzen der 25-jährigen Mollie McGrath steckt, wenn sie gegen Ende des Buches von den Protesten der Globalisierungsgegner in Seattle berichtet. Inzwischen hat Michael Moore diese Renitenz publikumswirksam auf die Leinwand gebracht.

Für den Regisseur von Bowling for Columbine und Fahrenheit 9/11 hatte Studs Terkel schon immer eine Vorbildfunktion. Lange bevor Moore weltberühmt wurde, trat der Mann, der sein Großvater sein könnte, 1997 in seinem Anti-Konzern-Streifen The Big One auf. Ein Jahr später überreichte der Filmemacher dem gleich gesinnten Buchautoren auf einer Wohltätigkeitsversammlung in Chicago als Zeichen seiner Verehrung einen Ziegelstein der legendären Fabrik aus Flint. "Das ist mein Diamant der Hoffnung", scherzte Terkel damals - der Hope Diamond ist einer der größten Edelsteine der Welt. Dass er Jahre später über die Hoffnung einmal ein ganzes Buch schreiben würde, hat Studs Terkel damals sicher nicht geahnt.

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