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Hinter dem Schein des Banalen

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Die Systemtheoretikerin Elena Esposito beobachtet gesellschaftlichen Wandel anhand der Mode

Von BETTINA ENGELS

In jüngster Zeit ist es sehr in Mode gekommen, den Stoff des Sozialen über den Leisten der Paradoxie zu spannen. Der von Hegel in die Gesellschaftstheorie eingeführte Widerspruch zwischen universaler Humanität und partikularem Gewinnstreben, den Marx in die eherne Form des Klassenkampfes goss, löst sich hier fast im Wohlgefallen an der geistreichen Pointe auf, dass die Eigenlogik des Systems mitunter das vermeintlich freie Wollen des einzelnen übertölpelt. Der Mensch denkt, das System lenkt - das ist zwar paradox, aber längst keinen Aufstand mehr wert.

Eine gute Figur macht das Paradox auch in den Augen der italienischen Soziologin Elena Esposito. Von ihrem Lehrstuhl für "Beobachtungstheorie" an der Universität Modena aus betrachtet Esposito die Mode als Hort jener Paradoxien, die heute kurioserweise individuelle und kollektive Identitäten zu stiften, mindestens aber zu stützen scheinen. Die Mode, so schreibt sie in ihrem Buch über Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden, ist der Stoff, der die Gesellschaft zusammenhält. Auf diese Pointe steuert sie mit ebenso viel Gespür fürs große philosophische Ganze wie für die historischen Details zu.

Der Dandy und die Konversation

Besondere Aufmerksamkeit schenkt Esposito den sozialen Umbrüchen an der Schwelle zur Moderne. Sie untersucht, wie sich die charakterlichen Leitbilder zu jener Zeit veränderten, als die Mode im Begriff war, von einer schönen Nebensächlichkeit zu einer gesellschaftlichen Ordnungsmacht zu werden. Während sie den "Konversation" betreibenden honnête homme des 18. Jahrhunderts als Auslaufmodell darstellt, pflegt der modebewusste Dandy angeblich einen zeitgemäßeren Umgang mit den Zeichen der modernen Zeit.

Der Dandy definiere sich nämlich nicht mehr über seine Zugehörigkeit zu einer Werte- und Geschmacksgemeinschaft wie der Ehrenmann, sondern über die permanente Verletzung ihrer Regeln. Sein zur Schau getragener Narzissmus mache ihn zum Außenseiter im ehrenwerten Milieu der Konversation und zu einen Vorboten des modernen ästhetischen Individualismus. Der Dandy tritt damit auch als Kritiker eines der wirkmächtigsten Ideale der Aufklärung in Erscheinung: des Ideals eines zwanglosen Austauschs zwischen freien und gleichen Individuen.

Man darf Espositos Ausführungen zum "Konversationsmythos" auch als Kommentar zu der Debatte zwischen Luhmanns Systemtheorie und Habermas Theorie des kommunikativen Handelns lesen, die in den achtziger Jahren die Soziologie beherrschte. Esposito hat darin frühzeitig Stellung bezogen, und zwar gegen die Frankfurter Schule. 1986 ging sie als Stipendiatin nach Bielefeld, promovierte bei Luhmann und pflegt seither einen Diskurs, der die systemtheoretischen Provokationen wie einen Sack voller Gemeinplätze behandelt: "Wie inzwischen bekannt ist", sind die Massenmedien kein Fenster zur Welt, "bekanntermaßen" wird die Wissenschaft nicht von ihren Forschungsgegenständen gesteuert, und "natürlich" variieren die Welten mit den jeweiligen Beobachterperspektiven.

Obwohl die Moderne also auch für Esposito durch eine Verselbstständigung der gesellschaftlichen "Funktionssysteme" Wissenschaft, Recht, Politik, Massenmedien, Kunst und Erziehung gekennzeichnet ist, möchte sie dennoch wissen, wie Individuum und Gesellschaft heute noch zu sich selbst finden können - nach ihrer Ansicht nur auf dem Weg der Negation vorgegebener Inhalte. Damit die automatisierte Verneinung allerdings anderes als Verrücktheit und Chaos produziere, wird sie von Esposito in ein aus drei "Sinndimensionen" bestehendes Koordinatensystem eingespeist: Während in der luhmannschen Moderne sowieso niemand mehr den Anspruch erhebt, sich auf eine systemunabhängige Wirklichkeit zu beziehen ("Sachdimension"), bilden die beiden "Dimensionen" des "Sozialen" und der "Zeit" in ihrem Entwurf das Gerüst, an dem sich die moderne Identität als Modebewusstsein wieder aufrichten lasse.

Der Mechanismus ist ebenso einfach wie kompliziert: Während unsere Verherrlichung der Individualität und unsere Gier nach Veränderung jede kulturelle Tradition unterhöhlten, gelinge es der Mode, eine soziale Ordnung ausgerechnet im Bund mit diesen subversiven Kräften zu errichten. Gerade weil sie nicht auf inhaltliche Werte festgelegt sei, auch nicht - wie Esposito betont - auf das ästhetische Kriterium der Schönheit, könne sie den massenhaften Absetzbewegungen einen gemeinsamen Marsch blasen. Die modischen Verbotsschilder zwingen alle Gecken auf den gleichen Parcours: Denn modisch und modern ist nur, was den meisten gestern noch nicht gefiel.

Rocklängen und Absatzhöhen

Was man der Autorin zunächst als Einseitigkeit vorhalten möchte, dass das ohnehin übersichtliche Literaturverzeichnis zum Großteil aus einer Auflistung des luhmannschen Werks besteht (und sich beispielsweise einen Eintrag zu Habermas ebenso spart wie zu Roland Barthes Klassiker über das "System" der Mode), zeigt sich bald als Stärke. Esposito entwickelt ihre Theorie der "modernen Mode" nicht in pflichtschuldigem Austausch mit konkurrierenden Ansätzen, sondern, indem sie Luhmanns Denken auf die Spitze treibt und damit aus der Selbstgenügsamkeit bringt. Gerade weil sie diese Perspektive so konsequent durchhält, tragen ihre Einsichten nämlich - wieder ein Paradox! - über das Luhmann-Universum hinaus und stellen so auch dessen Relativismus infrage.

Nicht zuletzt bei der Bestimmung des Verhältnisses von Kleidermode und moderner Gesellschaftsordnung erweist sich Esposito nämlich als Dialektikerin. "Wie alle authentischen Geheimnisse", schreibt sie, "schützt sich die Mode durch den Schein des Banalen". Das "geheimnisvolle" Wesen der Mode bestehe in einer "Vor- oder Metacodierung"; die Mode spiele auf der grundlegendsten Ebene, die im Luhmann-Universum überhaupt vorgesehen ist, derjenigen der "Gesellschaft", eine ähnliche Rolle wie für die Kunst der Stil. Somit entscheidet sie darüber, was überhaupt wahrgenommen, gewollt und kommuniziert werden kann. Der "banale Schein", hinter dem die Mode ihre - wie man nun sagen möchte: - quasi transzendentale Funktion verbirgt, ist natürlich das, was man landläufig unter diesem Begriff versteht: der saisonale Wechsel der Rocklängen und Absatzhöhen.

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