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Himmelsblau in einer Nussschale

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Von: Ingeborg Ruthe

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Unica Zürn 1955 in der Ausstellung Alexander Camaros, Galerie Springer, Berlin.
Unica Zürn 1955 in der Ausstellung Alexander Camaros, Galerie Springer, Berlin. © Franz Hermesmeyer

Zum 100. Geburtstag der Dichterin und Zeichnerin Unica Zürn, die sich mit nur 54 Jahren das Leben nahm.

Wie viele mag es wohl davon geben: begabte, namhafte Söhne und Töchter Berlins, aus welchen Gründen auch immer – Exil in der NS-Zeit, Neugier, Liebe – weggegangen und anderswo berühmt geworden. Oder aber verzweifelt. Vielleicht beides, gerade das als Quell großer Kunst. In Paris zum Beispiel.

Heute vor 100 Jahren kam in Berlin Unica Zürn zur Welt. Anfangs ein unscheinbares Leben, die Nazizeit überstand sie als kleine Mitarbeiterin bei der Ufa. Erst sehr viel später, gleich nach 1945, als sie das Schreiben für sich entdeckt hatte, wurde sie zur surrealistischen Zeichnerin und Anagramm-(man sagt auch: Schüttelwort)Dichterin. Bis heute gilt sie als Ikone dieser sehr besonderen Szene.

Im Stile der Fantastik

Nach Kriegsende schrieb die Rastlose Kurzgeschichten für liberale und linke Berliner Zeitungen. Im Stile der Fantastik versuchte sie, die Wirklichkeit neu zu verhandeln. Das Geheimnisvolle, das Abenteuer, aber auch das Drama spielen eine zentrale Rolle. Und Texte aus der Welt der Artisten, wie sie auch des Berliner Malers Alexander Camaros Nachkriegsbilder bevölkern: Verzauberung und Entzauberung. Später hat Unica Zürn diese Zeit ihr „Berliner Fenster in eine andere Welt“ genannt.

Denn 1970, mit nur 54 Jahren, nahm sie sich in Paris das Leben. Dorthin war sie 1958 mit dem ebenfalls aus Berlin stammenden, aber vor den Nazis nach Frankreich emigrierten Surrealisten Hans Bellmer gegangen, als sie ihn bei seinem Berlin-Besuch begegnet war. Daraufhin hat sie ihre Berliner Liebe verlassen, den ihr seelenverwandten Maler Camaro, und die damalige, für sie inspirierende und eingeschworene Künstler-Bohème um das legendäre Kabarett „Die Badewanne“ im West-Berlin der Nachkriegsjahre. Aufgegeben für diesen anderen, bettelarmen Künstler-Geliebten, der fast ausschließlich exzessive, seltsamste, verstörende Puppen-Bilder machte und davon aber kaum leben konnte.

An der Seine verkehrte Unica Zürn bald in den exzentrischen Surrealisten-Kreisen mit Arp, Breton, Michaux, Duchamp, Max Ernst. Sie fand Anerkennung, war 1959 mit ihren Zeichnungen und Anagrammen sogar Teilnehmerin der Documenta II in Kassel. Aber die Anzeichen einer schweren psychischen Erkrankung vertieften sich. Bellmer fand in ihr seine ultimative, „Fleisch gewordene Puppe“, die aber war nun gänzlich geschnürt, bis zur Entstellung, wurde so gleichsam zur abgründigen Metapher seelischer Qualen, immer tieferer Depressionen und irrationaler Anfälle. Als Bellmer einen Schlaganfall erlitt, sprang sie aus dem Fenster.

„Azur in nuce“ („Himmelsblau in einer Nussschale“) hat der Dichter Oskar Pastior die tragisch Geendete genannt. Deren „Hexentexte“, „Der Mann im Jasmin“ oder die seltsam schönen, surreal-nervösen Zeichnungen machen sie unvergessen.

Camaro-Stiftung, Berlin, Potsdamer Str. 98A: Mittwoch, 6. Juli, ab 17 Uhr Finissage der Ausstellung „Unica Zürn – Hans Bellmer – Alexander Camaro“.

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