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Dem Himmel so nah

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Wolken sollten nicht länger ein luftiges Nichts sein.
Wolken sollten nicht länger ein luftiges Nichts sein. © epd

Einer flog in die „Todeszone“ der Atmosphäre, einer nahm sich das Leben, weil seine Arbeiten ständig verrissen wurden: Peter Moore erzählt in „Das Wetterexperiment“ von den Pionieren der Meteorologie.

Von Jennifer Stötzel

Können wir uns getrost im Biergarten verabreden? Ein paar Tage vorher verrät uns das die Wettervorhersage – selbstverständlich. Meteorologen können Sonnenschein, Wolken, Sturm und Temperaturen doch – mehr oder weniger – präzise prognostizieren. Das war vor zwei Jahrhunderten noch völlig undenkbar.

Wie sich Wissenschaftler dem Himmel und seinen Geheimnissen näherten, davon berichtet nun Peter Moore in seinem Buch „Das Wetterexperiment“. Vor allem aus britischer und amerikanischer Sicht führt Moore auf, wie der Himmel sich für meteorologisch interessierte Männer des 19. Jahrhunderts vom mystifizierten Gebilde zum erforschbaren Raum wandelte. Denn die Meteorologen von heute, die vor digitalen Wetterkarten Hochs und Tiefs ankündigen, sind „das Produkt eines der berüchtigtsten und gewagtesten wissenschaftlichen Experimente des 19. Jahrhunderts“, wie es der Londoner Autor formuliert.

Einer der Pioniere der Wetterbeobachtung war Luke Howard. Er gilt vielen als Vater der modernen Meteorologie und beschäftigte sich Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem mit Wolken. Howard präsentierte 1802 ein „umfassendes System zur Klassifizierung von verschiedenen Wolkentypen“. Zuvor waren Wolken für die meisten Menschen Ornamente am Himmel oder ein luftiges Nichts – Howard verstand es, sie präziser zu beschreiben. Er prägte etwa den Namen Cumulus- oder Haufenwolke.

Das Wetter auf dem Wasser wollte vor allem der Brite Robert FitzRoy verstehen. Als Seefahrer beobachtete er die Abfolge von Sonne, Wolken und Wind – schließlich konnte das Wetter über Leben und Tod auf hoher See entscheiden, wie FitzRoy auf der legendären „Beagle“, einem Vermessungsschiff der Royal Navy, zu spüren bekam. Sein meteorologisches Interesse und sein Geschick im Umgang mit Thermometer, Barometer und Hygrometer brachten ihn dazu, Wetterkarten anhand von Logbüchern zu erstellen. Am 1. August 1861 veröffentlichte er die erste Vorhersage, die sich vor allem mit dem zu erwartenden Wind beschäftigte. Sein Leben endete tragisch – FitzRoy nahm sich nach zahlreichen Verrissen seiner Arbeit das Leben. Heute wird er als Wegbereiter der Wetteranalyse angesehen.

Was allen Wetterbeobachtern die Arbeit erleichterte, war die Erfindung des Telegrafen. In den 1850ern war das Netz so weit ausgebaut, dass man auf Beobachterposten im ganzen Land zurückgreifen konnte – ähnlich sah es in Amerika und Frankreich aus.

Wissenschaftler beschäftigten sich auch mit speziellen Wetterphänomenen. So studierte der Amerikaner James P. Espy etwa den Wasserdampf – und überlegte 1839, wie er Regen herstellen könnte. Er wollte auf gerodeten Flächen eine Säule aufsteigender Luft erzeugen, die Wasserdampf aus der Atmosphäre anzieht. Wenn der Wasserdampf eine geeignete Höhe erreicht hätte, würde er zu Wasser kondensieren – immerhin funktioniere das doch auch in London, wo Hunderttausende rauchende Schornsteine ein regnerisches Mikroklima entstehen ließen. Seine Idee brachte ihm den Spottnamen „Professor Blitz und Donner“ ein. Seine Theorie blieb ungeprüft – ein Test sei zu teuer, urteilte der Kongress.

Ein knappes Jahrzehnt später beschäftigte sich der erste staatliche Meteorologe Großbritanniens, James Glaisher, ebenfalls mit der Atmosphäre. Zunächst erfasste er stündlich Windrichtung, Wolken und die Stärke der Sonneneinstrahlung, setzte sich schließlich auch mit dem Faszinosum Tau auseinander. Glaisher sammelte immer mehr Daten, mit Hilfe von Korrespondenten im ganzen Land. 1849 begann er, diese Daten auf einer Umrisskarte einzutragen – das war die Geburtsstunde der Wetterkarte.

Doch die Datensammlung war nicht Glaishers einzige Beschäftigung: Berühmt wurde er mit seinen Ballonfahrten. Mit Henry Coxwell bestieg er Dutzende Male einen Heißluftballon, fühlte sich zunehmend als „Bürger des Himmels“. Hoch oben analysierte er die Messergebnisse von Thermo-, Hygro- und Barometer und entdeckte zufällig die sogenannte „Todeszone“ der Atmosphäre: Als die beiden Ballonfahrer eine Höhe von etwa 10 850 Metern erreicht hatten, verlor Glaisher das Bewusstsein. Bis dahin konnte über die Ausdehnung der Atmosphäre bloß spekuliert werden. Glaisher und Coxwell hatten mit ihrer lebensgefährlichen Fahrt „die Grenzen der bewohnbaren Welt genauer bestimmt“, so Moore.

Auch John Tyndall interessierte sich, wie Glaisher, für den Wärmeaustausch auf der Erde. Er befasste sich mit Gasen und legte 1860 die Basis für Forschungen von aktueller Bedeutung: Treibhausgase und Klimawandel. Er erläuterte bereits, dass sich, je mehr Wasserdampf, Kohlendioxid und andere Treibhausgase es gebe, desto mehr die Atmosphäre aufheizen werde. So öffnet Moore den Blick in Richtung Neuzeit – und endet mit dem Appell, den Klimawandel nicht zu ignorieren.

„Das Wetterexperiment“ zeichnet eindrucksvoll die (angelsächsische) Geschichte der Meteorologie im 19. Jahrhundert nach. Moore erzählt detailliert, teilweise fast zu eingehend, die Biografien der Himmelspioniere. Und der Leser erhält eine ausführlichen Einblick in die turbulenten Anfänge der Wetterprognose – eines der eher selbstverständlichen Dinge unserer Zeit.

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