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"Hier halte ich's nicht aus"

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Von: Martin Oehlen

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Ingeborg Bachmann, flankiert von Hans Magnus Enzensberger (l.) und Günter Grass.
Ingeborg Bachmann, flankiert von Hans Magnus Enzensberger (l.) und Günter Grass. © Ingeborg Bachmann Erben / Suhrkamp Verlag

Der bislang unbekannte Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger.

Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger währt noch nicht lange, da verrät die Autorin ihrem drei Jahre jüngeren Kollegen die Schuhgröße. Danach hatte er sich erkundigt. Und nun schreibt sie am ersten Weihnachtstag 1958: „Früher hatte ich 36½ und war stolz darauf, aber 37 ist bequemer. Seit ich mir das selbst zugebe, halte ich mich für einen reiferen Menschen.“

Wenige Zeilen weiter bittet sie Enzensberger um seine „Kopfnummer, aber die kennen Sie vielleicht selber nicht.“ Und schon beim nächsten Kontakt wechseln die beiden zu einer vertrauteren Anrede (und später dann zum Du): „Liebe Ingeborg“, schreibt er, „lieber Mang“, retourniert sie.

Dieser Briefwechsel, so heißt es im Vorwort zu dem von Hubert Lengauer herausgegebenen Band „Schreib alles was wahr ist auf“, gehöre „zu den schönsten Zeugnissen einer zuende gehenden Kunst des Briefeschreibens“. Tatsächlich ist der Dialog auf dem Postwege reich an feinen Einblicken und Formulierungen. Der Leser wähnt sich als Zeuge eines Gedanken- und Empfindungsaustauschs, der leuchtet, weil hier vielfach direkt aufeinander Bezug genommen wird. Dabei ist im Prinzip Enzensberger der Muntere, Bachmann die Empfindsame – aber es geht auch andersherum. Einblicke ins Seelenleben der beiden gibt es allemal. Früh erkundigt sich Enzensberger, was Bachmann über die Villa Massimo wisse, die deutsche Akademie in Rom: „Gibt es da ein Gemeinschaftsleben? Das würde ich nämlich nicht aushalten.“ Dort angekommen, teilt er seinen Befund mit: „Bonn in Rom, miserables Kunstghetto! Hier halte ich’s nicht aus.“

Weniger auf Pointe setzt Ingeborg Bachmann in ihren Briefen. Aber auch sie öffnet sich weit. Sie fürchte sich vor den vielen zerstreuenden Arbeiten, den Vorlesungen und der Fliegerei: „Ich möchte doch langsam weiterschreiben, ohne das Zittern in der Hand zu kriegen.“ Manchmal ziehe „ein Gewölk“ durch sie hindurch, „eine Verzweiflung wegen der Menschen und eine Panik, die durch lauter Winzigkeiten“ zustande komme.

Die Autorin mit den Angstattacken sieht in Enzensberger einen idealen Gesprächspartner: „Weil ich mir nämlich einbilde, dass wir über alles reden sollten, worüber man sonst wenig Lust hat, noch mit irgendjemand zu reden, und dass es einen Sinn hätte. Ich möchte mit Ihnen sogar über das Schreiben, sogar über Gedichte und wie alles veränderbar wäre, reden, und was zu tun ist und warum, ohne Plan und Voraussetzung und erstarrte Ansicht.“ Seine Briefe sind für sie „die einzigen, die in der Sprache geschrieben sind, die ich verstehe“. 1966 bekennt sie: „Es fehlt mir manchmal das Mitteilungsbedürfnis bis zu einem Grad, der kaum mitteilbar ist.“ Was für eine Schriftstellerin eine problematische Haltung sei, wie sie selber bemerkt.

Es gibt in diesem – ausführlich kommentierten – Briefwechsel auch mancherlei Austausch über literarische Veröffentlichungen. Über die eigenen, bei denen sich Bachmann als sehr skrupulös erweist, und über die der anderen. Enzensbergers Urteil über die Grass’sche „Blechtrommel“ vom 21. August 1959 ist famos: „Das ist ein großer Roman, nichts Geringeres, ein in jeder Hinsicht enormes Buch, das die deutsche Prosa von Böll bis Andersch und zurück als einen Schrebersgarten zeigt. Frisch soll sich freuen: er ist nicht mehr allein.“

Dass er Max Frisch lobend erwähnt, ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass die Österreicherin mit dem Schweizer liiert war. Da kann man ja schon mal Rücksicht nehmen.

Eigentümlichkeiten pflegen beide in ihrer Korrespondenz. So wechselt Bachmann nicht selten vom Deutschen ins Italienische, während Enzensberger die Kleinschreibung praktiziert. Das sei keine Weltanschauung, beruhigt er: „Ich finde bloß, es sieht hübscher aus, kommt meiner Faulheit entgegen –, und zwingt die Leute ein bisschen langsamer und aufmerksamer zu lesen.“

Eine anregende, informative Nord-Süd-Korrespondenz ist das – mit Enzensberger, der sich oft in Norwegen, in Tjöme aufhält, und Bachmann, die es immer wieder nach Italien, nach Rom zieht. Erfasst ist der Zeitraum zwischen 1957 und 1972, allerdings mit einigen sehr großen Intervallen. Dieser bislang unbekannte Briefwechsel führt mitten hinein in die Nachkriegsgeschichte der deutschsprachigen Literatur. Die Portokosten haben sich allemal rentiert.

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