1. Startseite
  2. Kultur
  3. Literatur

Heideggers Fall

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Dirk Pilz

Kommentare

Keine Philosophie ist politisch unschuldig: Martin Heidegger auf einem Foto von 1959.
Keine Philosophie ist politisch unschuldig: Martin Heidegger auf einem Foto von 1959. © epd

Der Philosoph Martin Heidegger war Antisemit und überzeugter Nationalsozialist. Ist sein Denken damit erledigt?

Noch mal zur Erinnerung: Martin Heidegger war Nationalsozialist. Am 1. Mai 1933 trat er in die NSDAP ein, weil er glaubte, das „deutsche Volk sei jetzt dabei, sein eigenes Wesen wieder zu finden und sich würdig zu machen eines großen Schicksals“. Diesen Glauben gab er bis zu seinem Tod vor 41 Jahren nie auf. Aber er sprach später von einem real existierenden „Vulgärnationalismus“, dem er seinen „geistigen“ entgegensetzte.

Das „Geschick des Abendlandes“ blieb für ihn jedoch an das „Volk“ der Deutschen geknüpft. Es brauche dafür einen anderen „seinsgeschichtlichen“ Anfang, ein neues Sein. Der Nationalsozialismus schien ihm gut geeignet, das Neue heraufzubringen: „Alles muss durch die völlige Verwüstung hindurch.“

Diese grobe Logik wurde früh als hemdsärmelige Dialektik kritisiert. Heidegger war ja schon immer Gegenstand der Debatte. Seit drei Jahren aber ist daraus ein Kulturkampf geworden. Denn vor drei Jahren erschienen die „Schwarzen Hefte“, herausgegeben im Rahmen der Gesamtausgabe von Peter Trawny. Schwarz heißen sie aufgrund ihres Einbandes, aber als schwarz wurde auch der Inhalt der losen Texte genommen.

Verdacht der Vertuschung

Hat man mit ihnen Heideggers „philosophisches Vermächtnis“, wie Trawny vermutet? Dafür könnte sprechen, dass Heidegger sie als Abschluss der Gesamtausgabe vorsah und um 1970 noch einmal gründlich durchsah. Der sonst so getreue Nachlassverwalter, sein Sohn Hermann, hat sie dennoch vorher freigegeben, für eine Ausgabe allerdings, die keine kritische ist. Die teils gravierenden Abweichungen zwischen Manuskript und Publikation werden nicht ausgewiesen. Der Verdacht einer Vertuschung liegt nahe, aber was genau sollte verheimlicht werden?

Es ist unstrittig, dass Heidegger antisemitische Positionen vertreten hat. Wenn er von „Weltjudentum“ spricht und wenn er seinen Gedanken eines neuen Anfangs an die „Judenfrage“ knüpft, indem er diesen die perverse Rolle zuschreibt, das ausgezeichnete Volk zu sein, das durch die eigene Vernichtung das Neue heraufführt, hilft kein Relativieren.

Die Veröffentlichung der „Schwarzen Hefte“ erlebte die philosophische Szene deshalb als Schock. Ungewöhnlich schnell wurden Konferenzen abgehalten, Sammelbände und Monographien publiziert. Die Gräben in der Heidegger-Community sind dabei tief.

Anfang 2015 trat der Vorsitzende der Heidegger-Gesellschaft, Günter Figal, aufgrund der schockierenden „Infamie“ der antisemitischen Äußerungen von seinem Amt zurück. Sein Nachfolger Helmuth Vetter spricht dagegen vom „Antijudaismus“ Heideggers – und wendet sich gegen alle, die Heidegger aus dem Kanon ausschließen wollen, wie der französische Philosoph Emmanuel Faye etwa: „Wenn jemand verlangt, Heideggers Bücher aus dem Regal zu nehmen, unterscheidet sich das nicht von faschistischem Handeln“, so Vetter.

Dass es etwas Lächerliches habe, auf Heidegger zu verzichten, sagt auch Jean-Luc Nancy, einer der versiertesten Heidegger-Kenner. Heidegger bleibe wichtig, weil „das Ereignis des Nationalsozialismus“ ein allgemeines „philosophisches Problem“ darstelle, nämlich das Problem, wie sich Philosophie und Politik zueinander verhalten.

Wie weiter mit Heidegger?

Aber auch Nancy scheinen die „Schwarzen Hefte“ nachhaltig irritiert zu haben. Einerseits sagt er, Heidegger habe den „banalen Müll“ des Antisemitismus „zu höheren Zwecken“ verkehrt, also eine „höhere Wahrheit des Antisemitismus“ konstruiert. Andererseits solle man diesen aber im Sinne eines „Hyper-Faschismus“ verstehen, nicht als „Weltanschauung“. Macht ein neuer Begriff den alten Antisemitismus besser? Am Ende bleibt auch für Nancy nur: „Wir sind sprachlos.“

Wie also weiter mit Heidegger? Immer wieder wird das Argument vorgetragen, dass Hannah Arendt, Karl Löwith oder Herbert Marcuse bei ihm studiert hätten, sie allesamt jüdischer Herkunft waren und Heidegger diese als „die Besten“ bezeichnet habe. So auch auf der Wiener Tagung der Heidegger-Gesellschaft im vergangenen Jahr, deren Vorträge jetzt in dem schlicht „Auslegungen“ betitelten Band versammelt sind. Rosa Maria Marafioti glaubt gar, Heidegger habe seinen Antisemitismus „verworfen“, weil er das „schöpferische Denken vieler Juden sehr gewürdigt“ habe. Dass man allerdings Antisemit und mit Juden befreundet sein kann, ist vielfach belegt, unter anderem mit dem Fall Heidegger.

Untauglich ist auch der Versuch des französischen Heidegger-Herausgebers (und Holocaust-Leugners) François Fédier, Heideggers Antisemitismus zu entschuldigen, weil er damals allgemein verbreitet gewesen sei. In diesem Sinne hat sich auch Hermann Heidegger in einem Interview mit der rechtsextremen Zeitschrift „Sezession“ geäußert. Dieses Argument verfängt allein deshalb nicht, weil Heidegger ausdrücklich betont, dass die „geschichtliche Wesenskraft des Nationalsozialismus“ unabhängig bleibe „von der je zeitgenössischen Gestalt und der Dauer dieser gerade sichtbaren Formen“.

Das ist einer der Gründe, warum sich heute die Neue Rechte auf Heidegger bezieht. Und dieser Neuen Rechten kommt es sehr gelegen, wenn etwa Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Herausgeber vieler Heidegger-Bände der Gesamtausgabe, behauptet, die antisemitischen Äußerungen Heideggers seien „völlig belanglos“. Dass sie es nicht sind, führt Herrmann selbst vor, indem er – wider Willen – zeigt, dass es eben nicht um „wenige Sätze“ geht, sondern um Sätze, die an systematisch zentraler Stelle innerhalb der „Seinsgeschichte“ stehen.

Trawny hat deshalb von „seinsgeschichtlichem Antisemitismus“ gesprochen. Genau das aber sei, so schreiben Michèle Cohen-Halimi und Francis Halimi, ein „Taschenspielertrick“, denn Trawny hebe den Antisemitismus damit auf eine Bedeutungsebene, auf der er aufhöre, antisemitisch zu sein. Die Opfer spielten hier keine Rolle mehr – und Heidegger werde gerettet, gerade indem man ihn einen Antisemiten sein lässt.

Soll man also Heidegger nicht mehr lesen? Soeben ist abermals ein Band in der Gesamtausgabe erschienen, wieder von Trawny herausgegeben. Er versammelt die Materialien der „Zollikoner Seminare“, zu denen der Psychiater Medard Boss von 1959 bis 1969 Heidegger elf Mal eingeladen hatte. Einerseits lässt sich hier gut studieren, wie hilfreich Heideggers Daseinsanalyse für die Untersuchung des Arzt- und Patientenverhältnisse sein kann. Heidegger geht es darum, den gesunden wie den kranken Menschen im Lichte seines „Daseinsentwurfes“ zu verstehen, was in der modernen Gerätemedizin in der Tat nicht vorgesehen ist. Aber auch hier steht das Dasein unter der Vorgabe einer „Seinsgeschichte“, deren antisemitische Bestandteile Heidegger nie zurückgenommen hat.

Auf Heidegger wird dennoch künftig zurückzukommen sein. Allein deshalb, um seine Philosophie der Neuen Rechten nicht unwidersprochen zu überlassen. Es kommt darauf an, umfassend zu realisieren, dass keine Philosophie politisch unschuldig ist. Heideggers schon gar nicht.

Auch interessant

Kommentare