Die goldene Zeit der Erschöpfung
Die spanische Schriftstellerin Almudena Grandes widmet sich in „Kleine Helden“ der Wirtschaftskrise in ihrem Land.
Die bedeutende spanische Schriftstellerin Almudena Grandes interessiert sich für ihr Land und seine Bewohner. In einigen ihrer Werke hat sie sich mit dem spanischen Bürgerkrieg auseinandergesetzt und den noch immer nicht ganz verheilten Wunden, die dieser hinterlassen hat – ein schwieriges Thema in der spanischen Gesellschaft. In ihrem neusten Werk schreibt sie über „la crisis“, die schwere Rezession, in die Spanien im Jahr 2008 geriet und die zehn Jahre später noch nicht überwunden ist, auch wenn in Deutschland keiner mehr davon spricht.
Die Leidtragenden sind die Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, ihre Wohnung, die keine Kundschaft mehr finden, keinen Job wie viele junge Menschen. Mehr als 800 000 von ihnen haben das Land verlassen. Es sind dies die Helden in Grandes‘ Roman.
Das Buch spielt in einem Viertel von Madrid, der Stadt, in der auch Almudena Grandes zu Hause ist. Sie bietet ein Kaleidoskop von Menschen auf, Familien, Alleinstehende, Alte, Junge, Spanier, Ausländer. Außer mit der ökonomischen Krise haben sie auch noch mit ihren persönlichen Problemen zu kämpfen, einer Trennung etwa, dem Tod des Lebenspartners. Manchen wird dadurch der Boden unter den Füßen weggezogen wie Sebastián, der nicht nur die Arbeit, sondern auch noch Frau und Kinder verliert. Die Globalisierung ist auch ein Problem. Amalia begegnet ihr, als gegenüber ihrem Salon, in dem ohnehin nicht mehr viel los ist, fünf Chinesinnen ein Nagelstudio eröffnen und sie bei den Preisen gnadenlos unterbieten mit ihrer Permanent-Maniküre für acht Euro zum Beispiel. „Was die Chinesinnen da drüben machen, ist reiner Terrorismus“, sagt Amalia.
Auch Kürzungen im staatlichen Bereich gab es, in dem die Stellen sicher schienen, bis es auch Beamten an den Kragen ging. Marisa etwa war fast 30 Jahre lang Redakteurin bei Tele-Madrid, einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, morgens um halb sieben klingelte der Wecker, sie hatte vor Arbeitsbeginn zwei Kinder zu versorgen. Dann kam das Gesetz zur Regelung von Massenentlassungen. „Wenn sie heute in der Schlange der staatlichen Arbeitsvermittlung steht, erinnert sich Marisa an die Erschöpfung wie an eine goldene Zeit im Leben.“ An solchen Sätzen merkt man, was für eine einfühlsame Beobachterin Almudena Grandes ist.
Sie hat Sympathie für ihre Protagonisten, und diese trägt das gesamte Buch, doch klagt sie sie auch an. Der Originaltitel des Buches lautet „Los besos en el pan“, die Küsse auf das Brot. Er bezieht sich auf eine alte Sitte: Wenn ein Stück Brot auf den Boden fiel, mussten die Kinder es aufheben und küssen, bevor sie es wieder in den Brotkorb legten, so sehr hatten die Familien einst gehungert. Doch diese Sitte gibt es nicht mehr, und Almudena Grandes nimmt dies als Zeichen für die Verweichlichung der Spanier, die es verlernt haben, Armut mit Würde zu tragen. „Für unsere Großeltern wäre dies keine Krise, sondern nur eine kleine Unannehmlichkeit“, schreibt sie. Dass sie das eine Elend gegen das andere ausspielt, berührt einen unangenehm.