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Geschichten von missverstandenen Menschen

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Von: Bernhard Honnigfort

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Die "Athena Lemnia" ist gewiss keine Dresdenerin, als Immigrantin allerdings hoch angesehen in Dresdens Albertinum. Hier wurde die Weltbürgerin  ausgeliehen an den Prado in Madrid.
Die "Athena Lemnia" ist gewiss keine Dresdenerin, als Immigrantin allerdings hoch angesehen in Dresdens Albertinum. Hier wurde die Weltbürgerin ausgeliehen an den Prado in Madrid. © rtr

Drei Busse, ein wütendes Buch, ein Biedenkopf-Tagebuch: Nicht so Neues aus Sachsen.

Ein paar Neuigkeiten aus Deutsch-Nahost, wie Uwe Steimle (später mehr zu ihm) über sein Sachsen sagen würde. Aber so neu auch nicht, im Grunde Fortsetzungen immer gleicher Geschichten von Menschen, die sich missverstanden fühlen. Menschen aus einer Gegend, die sich gerne und mit großer Leidenschaft mit sich selbst beschäftigt.

Kurt Biedenkopf, 87, und das liebe Geld: Er hat Ärger mit seinem von ihm wenig geschätzten Nach-Nachfolger Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Biedenkopf hat Tagebücher geschrieben und von der Staatskanzlei Geld für sein Monumentalwerk bekommen. 2015 war das, er hat sich bedankt mit dem giftigen Halbsatz, dass Tillich die Publikation zu seiner Sache gemacht habe. 308 000 Euro Zeilengeld für seitenweise Eigenlob, nicht schlecht. Selbstbedienung, schimpft jetzt die Opposition. Tillich ist auch beleidigt, fühlt sich falsch verstanden und will die Publikation nie zu seiner Sache gemacht haben.

Ansonsten: Am Dienstag begann die Demontage der drei hochkant stehenden Busse vor der Frauenkirche, über die sich die Pegida und andere Daueraufgeregte erzürnten, als drohe der Untergang ihres Was-auch-immer-Abendlandes. Sie standen direkt vor dem Luther-Denkmal auf dem Neumarkt. Nun kommen die Busse, ein Mahnmal, das an die Zustände in Syrien erinnern soll und in Dresden von vergnügten Touristen hunderttausendfach fotografiert, nach Berlin vors Maxim-Gorki-Theater, wo wahrscheinlich auf kleinerer Flamme, wenn überhaupt geschrien und gemeckert wird.

Dann ist da noch das abgefackelte Auto von Professor Werner J. Patzelt, auch einer, der sich nicht richtig verstanden fühlt. Nach einem Vortrag beim „Extremismus-Kongress“ der AfD in Berlin, ließ die Antifa Patzelt wissen: „Höchste Zeit, ihn spüren zu lassen, dass das Verständnis für Rassist*innen Konsequenzen hat“.

Patzelt ist ein rotes Tuch für etliche Dresdner, er nennt seinen Umgang mit Pegida wissenschaftlich, für seine Kritiker ist er der „Versteher“. Vor kurzem brannte sein Auto. „Werner Patzelt hat in seinen Büchern, Vorlesungen und Interviews den geistigen Nährboden dafür gelegt, dass in Dresden und Sachsen seit Jahren rassistische Pogrome, faschistische Angriffe und eine ekelhafte konservative Politik passieren“, stand in einem Bekennerschreiben. Soweit ist es. Nun brennen in Dresden schon Autos von Politikwissenschaftlern.

Auch noch erzählenswert: Das kleine Buch- und Kulturhaus Loschwitz am Elbhang, ganz in der Nähe des Blauen Wunders, einst gefeiert. Netter Laden, zauberhafte Lage, interessante Gespräche. Man schaute gerne mal rein. Ausgezeichnet mit dem Preis des Deutschen Buchhandels. Nun bleibt angeblich schon länger die Kundschaft aus. Freunde haben sich verabschiedet. Früher stöberte auch Innenminister Thomas de Maizière dort sonntags nach Lesbarem, er wohnt auf der anderen Elbseite. Nun er wohl auch nicht mehr. Ein Buchhaus, über das in der Stadt geredet wird: Pegida, was sonst. „Die Zeit“ war dort und schrieb, wenn man Buchhändlerin Susanne Dagen frage, ob sie mit Pegida sympathisiere, dürfe man das durchaus schreiben. Sie wolle sich dafür nicht verstecken.

Sympathien für Pegida, eine fremdenfeindliche Hass-Bewegung, angeführt von einem mehrfach vorbestraften Einbrecher und Drogenhändler, der von seinem Wohnsitz Teneriffa zu den Montagskundgebungen einfliegt? Der übrigens kürzlich über den inhaftierten „Welt“-Journalisten Deniz Yücel meinte, gäbe es in der Türkei die Todesstrafe, „wäre die Hinrichtung von Schmierfink Deniz mal wieder ein guter Grund hinzufahren!“

Ein Abgrund an Denken und Sprache. Eine Buchhändlerin, die meint, man könne und müsse über alles reden. Eine, die sich im schönen Dresden verrannt hat. Aber es gibt für alles immer einen Notausgang: Man wird Opfer. Schuld ist der Westen. Die Ostdeutschen hätten Wiedervereinigung statt reformierter DDR bekommen. Fünf neue Länder lupenrein nach West-Vorbild. „Statt die Ossis an die Hand zu nehmen und sie über die Fallstricke der neuen Gesellschaft aufzuklären, nutzten manche Westdeutsche ihr Vorschusswissen für sich“, sagt Dagen in der „Zeit“. Damit ihnen so etwas nicht noch einmal passiere, gingen einige Ostdeutsche für Pegida auf die Straße. „Ich höre immer wieder: Die Ossis wollen sich heute nicht wieder verscheißern lassen.“

Kann man das alles noch verstehen? Warum passiert so ein Quatsch so gerne in Dresden? In Sachsen? Noch ein Buch, nicht von Biedenkopf, sondern Heike Kleffner (Expertin für Rechtsextremismus) und Matthias Meisner (Twitterer und Journalist): „Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen.“ Ein Sammlung von Texten, mehr als 40 Autoren, die dem Warum auf der Spur waren. Ein Antwort gibt es nicht, dafür viele Reportagen, Berichte, Geschichten unterschiedlicher Qualität, die natürlich bei Biedenkopf und seiner CDU anfangen, den glorreichen 1990er Jahren, dem Aufbau Ost und gleichzeitigem Desinteresse an demokratischer Teilhabe und Willensbildung.

Die Stärken des Buches: Es erzählt, es lässt alles wieder aufleben, es geht schmerzhaft nah ran, es zeichnet detailliert die lange Jahre anhaltende politische Verharmlosung rechter Gewalt nach, es malt ein großes Sachsen-Bild. Die Schwächen: die spürbare Wut mancher Autoren. Die Einwürfe etlicher Gastautoren, kurze Betrachtungen wie die von Heinz Eggert, einst Innenminister oder von Frank Richter, dem Dresdner Schlichter. Sie machen das Buch nicht besser oder interessanter, nur dicker. Irritierend auch der vernichtende Beitrag über den Kabarettisten Uwe Steimle, eine jahrelange Spurensuche und Fleißarbeit im Internet. Wozu? Steimle, zugegeben ein sächsischer Säuerling mit enormem Mitteilungsdrang, mischt sich gerne nervend in Dresden ein, wenn es um weltbewegende Probleme wie den ungenutzten Fernsehturm am Elbhang geht oder er hat mal als stadtarchitektonische Protestnote eine bepflanzte Kloschüssel in Dresden aufgestellt. Im Buch wird er mit großem Hammer und unangenehm genüsslich in den Boden gehauen.

Interessant vielleicht noch dies: Die Autoren wollten ihr Werk in der sächsischen Landesvertretung in Berlin vorstellen. Aber daraus wurde nichts, angeblich Terminprobleme, vermutlich Beleidigtsein. Was nicht überraschen würde.

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