Ganz besondere Waffen
Angela Merkel, früher "das Mädchen", heute "die Erste" - zwei Biografien über die Kanzlerkandidatin der Union
Von MATTHIAS ARNING
Jeder Mensch, das schließt Max Frisch aus eigener Erfahrung, "jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält. Oder eine ganze Reihe von Geschichten." Evelyn Roll hat dieses Zitat des Schweizer Dramatikers an den Anfang ihrer Biografie Angela Merkels gestellt. Noch vor den ersten Satz, den Roll selbst geschrieben hat: "Sie ist immer schon von draußen gekommen, aus einer anderen Welt." Sie ist Angela Merkel, "die Erste", Chefin der CDU, eines von Männern weitgehend dominierten Ladens.
Angela Merkel ist "eine ungewöhnliche Frau". Zumindest schildert Gerd Langguth die Frau aus dem "politischen Nichts" am Anfang seiner Biografie so. Während es Langguth über die gesamte Strecke einfach nicht gelingt, seine eigene Überraschung über den temporeichen Weg der Angela Merkel zu verstehen, bemüht sich Roll, Journalistin der SZ, darum, sich ihrer Figur behutsam und auch nicht ohne eine gewisse Sympathie anzunähern, ohne allerdings am Ende behaupten zu können, sie habe sich die Komplexität dieser Politikerin auf dem Sprung ins Bundeskanzleramt erschlossen.
Ein einziges Interview
Ohnehin wäre das ein Anspruch, der die Grenze hin zur Vermessenheit längst überschritten hätte. Immer bleiben es für die beiden Biografen Annäherungsprozesse. Roll begleitete die inzwischen 51-Jährige auf manchem ihrer Wege durch die Republik. Langguth nicht, aber er spielt wenigstens mit offenen Karten, macht kein Hehl daraus, dass die CDU-Chefin nur "zur begrenzten Mitwirkung an diesem Buch" bereit gewesen sei, ihm gerade mal ein Interview gewährt habe. Das reicht kaum für eine nicht eben schmale Biografie. Dieses Manko wird vor allem in den ersten Kapiteln offensichtlich, in denen sich Langguth, Professor für Politische Wissenschaft in Bonn, mit Merkels frühen Jahren in der Uckermark befasst. Während Roll mit früheren Weggefährten Gespräche führte, wirken Langguths Schilderungen der ersten Jahre hölzern. Häufig bemüht er sich um eine zeitgenössische Kontextualisierung, erinnert er stichwortartig an Ereignisse, die gleichzeitig zur kleinen Welt der Uckermark die schon größere der damaligen DDR und die richtig große Welt des Kalten Krieges bestimmen.
Langguths Studie gewinnt Kontur, wenn es näher an die Gegenwart des Lebens von Angela Merkel geht. Dann schaffen seine Schilderungen eine gewisse Nähe, etwa wenn er die dramatische Entwicklung nimmt, die zu dem berühmten Frühstück in Wolfratshausen im Privathaus des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber führte. Kurz entschlossen reiste Merkel damals in den Süden der Republik, um dem Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur den Vortritt zu lassen - und den eigenen Rücktritt vermeiden zu können. Denn innerhalb ganz kurzer Zeit hatten einige Herren aus dem Bundesvorstand der CDU vor der Bundestagswahl 2002 durchblicken lassen, dass sie es Merkel nicht zutrauen und auf Stoiber setzen. Allein um eine innerparteiliche Niederlage und die damit verknüpfte Aufgabe des CDU-Vorsitzes abzuwenden, trank sie mit dem Bayern Kaffee.
Der unbedingte Wille zur Macht
Schließlich wollte sie sich so kurz vor dem Ziel nicht noch aus dem Kopf schlagen müssen, was sie sich mit der Übernahme des Parteivorsitzes und dem öffentlichen Abgesang auf Altbundeskanzler Helmut Kohl vorgenommen hatte: Wer diese Partei durch diese unruhige Zeit nach diesem Parteispendenskandal wieder in eine Form bringen würde, so dass sie sich gute Chancen bei einer Bundestagswahl ausrechnen könne, der habe es auch verdient, wirklich verdient, Kanzlerkandidat dieser Partei zu werden.
In dieser Hinsicht ist Angela Merkel am Ziel. Die letzten Etappen auf diesem Weg hat Evelyn Roll für die Taschenbuch-Ausgabe ihres bereits 2001 unter dem Titel "Das Mädchen und die Macht" erschienenen Buches ergänzt. Zusätze, die sich zumeist orientieren an ihren Reportagen für die SZ. Allesamt gut zu lesen, zumeist gut beobachtet, oft mit Liebe zum Details, etwa wenn es darum geht, warum das Kind Angela nicht gelaufen ist, damals in der Uckermark. Roll fragt, warum die CDU ausgerechnet diese Pfarrerstochter aus dem Osten zu ihrer Hoffnungsträgerin mache, warum gerade sie zur Jeanne d'Arc der Spendenaffäre geworden sei, und was die Macht aus der Frau, die Kohl "das Mädchen" nannte, inzwischen gemacht habe. Roll bietet Antworten, wenn sie auch oft über den Verweis auf Merkels Diszipliniertheit und ihren unbedingten Willen nicht hinaus gelangen. Roll umspielt die Zonen, in die Merkel sie trotz ihres Primats der Distanz lässt, erschließt dem Leser aber nicht, was das alles "für das Land bedeutet".
Langguth wiederum, früher Bundestagsabgeordneter der CDU, versucht zehn Thesen, um seinen Lesern Merkels Persönlichkeit näher zu bringen. Er schildert die Politikerin als weitgehend ideologiefreie Technikerin der Macht, die es gewohnt sei, als Physikerin naturwissenschaftlich zu denken und sich somit einer gewissen Kalkülrationalität sicher sein zu können. Dabei diene "die Entwurfslosigkeit, mit der sie an die Politik herangeht, der Fehlervermeidung". In der DDR habe sie gelernt, "private Gedankenwelt und die offiziöse Welt der Staatsloyalität klar zu trennen". Daraus erkläre sich "ihre Unfähigkeit, sich mitzuteilen". Langguth schreibt Merkel "ganz besondere Waffen" zu, die es ihr als erster Frau möglich machen würden, ins Kanzleramt einzuziehen. Schließlich verkörpere Merkel wie niemand vor ihr "gesamtdeutsche Geschichte". Diese Erfahrung hat Merkel selbst bislang allerdings nicht für sich selbst eingesetzt. Am Vergangenheitshorizont ihrer politischen Rhetorik taucht im Zusammenhang mit dem 20. Jahrhundert allein die DDR auf.