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Für den Rest meines Lebens

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Von: Petra Pluwatsch

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Chimamanda Ngozi Adichie. Foto: epd
Chimamanda Ngozi Adichie. © epd-bild/S. Fischer Verlag

Chimamanda Ngozi Adichie trauert.

Zu trauern bedeutet, „nie wieder“ zu sagen. Nie wieder die Stimme zu hören – in diesem Falle die des Vaters. Nie wieder dieses kleine Lachen zu lachen, wenn er einen Witz macht. Nie wieder nach seinem Mittagsschlaf die Delle auf dem Kissen zu sehen, dort, wo sein Kopf lag. „Nie wieder fühlt sich wie eine unfaire Strafe an“, schreibt die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem berührenden Buch „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“. „Für den Rest meines Lebens werde ich die Hände nach etwas ausstrecken, das nicht mehr da ist.“

Das Buch:

C himamanda Ngozi Adichie: Trauer ist das Glück, geliebt zu haben. A. d. Engl. v. Anette Gruber. S. Fischer. 76 S., 16 Euro.

Auf knapp 80 Seiten schildert Adichie ihren Schmerz über den Tod des Vaters, der am 10. Juni 2020 in Nigeria starb. „Am 9. Juni sprach ich nur kurz mit ihm, damit er sich ausruhen konnte. Er lachte leise, als ich wie üblich spielerisch einen Verwandten imitierte. Ka chi fo, sagte er. Gute Nacht. Es waren seine letzten Worte zu mir. Am 10. Juni war er nicht mehr da. Bruder Chuks rief mich an, um es mir zu sagen, und ich brach zusammen.“

C himamanda Ngozi Adichie, international bekannt geworden mit ihrem preisgekrönten Roman „Americanah“, lebt mit Mann und Kind in den USA, eine Reise nach Nigeria zu ihrer Familie ist wegen der Corona-Pandemie unmöglich – die Flughäfen in ihrem Heimatland sind geschlossen. Noch hängt die warme Kleidung der Eltern im Gästezimmer, bereit für den nächsten Besuch von Vater und Mutter in den USA. Doch die Tochter braucht keine Mäntel und Schals, um sich an James Nwoye Adichie zu erinnern, den seinerzeit ersten Statistikprofessor Nigerias. Allein das Schreiben hilft, den Verlust ansatzweise zu bewältigen. „Beim Schreiben bricht sich eine neue Stimme Bahn, angefüllt mit Nähe, die ich zum Tod empfinde, mit dem Bewusstsein meiner eigenen Sterblichkeit, so fein verflochten, so akut.“

S elten werden die Phasen der Trauer so eindringlich beschrieben, wie es Adichie gelingt, die kürzlich mit Kanzlerin Angela Merkel im Düsseldorfer Schauspielhaus über das Buch und ihre Trauererfahrung sprach. Adichie schildert ihre Fassungslosigkeit, das allmähliche Begreifen, das widerwillige Akzeptieren: „Ich schreibe über meinen Vater in der Vergangenheitsform, und ich kann nicht glauben, dass ich über meinen Vater in der Vergangenheitsform schreibe.“ Natürlich ist das ein Buch über den Tod, doch vor allem ist es eine einzigartige Liebeserklärung an den wichtigsten Mann im Leben der Autorin.

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