Friedrich Ani „Letzte Ehre“: Unterm stacheligen Nieselregen

Friedrich Ani erzählt in „Letzte Ehre“ von der Gewalt gegen Frauen.
Ein Zorn muss ihn diesmal angetrieben haben, den meisterhaften Zeichner verlorener Seelen, Friedrich Ani. Ein Zorn über das, was Männer Frauen antun. mit größter Selbstverständlichkeit, als stünde ihnen der Gebrauch von Frauenkörpern per Geburtsrecht zu. „Jetzt zum Mitschreiben“, diktiert in „Letzte Ehre“, dem neuen Roman, ein gewisser Stephan Barig der Polizistin Fariza Nasri, er sei „ein Mann, vor allem da, wo’s drauf ankommt. Ich kann, wenn ich muss, und ich muss oft.“ Und was geht ihn das an, wenn die 17-jährige Tochter seiner Freundin verschwunden ist? Und was geht ihn das an, wenn eine Frau sich beschwert, die er doch gut bezahlt hat für Sex? „Die Aussage der Nutte ist wertlos, wie der ganze Mensch.“
Schon immer hat der Münchner Schriftsteller Friedrich Ani in seinen die Grenzen des Genres auslotenden Kriminalromanen den Blick auf die Opfer gerichtet. Bekannt geworden ist er als Erfinder des einfühlsamen Tabor Süden, Ermittler in der Vermisstenstelle. „Letzte Ehre“ ist einerseits ein traditionellerer Krimi, blickt andererseits vor allem durch die Augen der Ermittlerin aufs Geschehen (Kolleginnen und Kollegen arbeiten vom Rand aus zu), folgt ihren Befragungen, verschweigt nicht ihre Irritationen, auch nicht ihren Kampf mit sich selbst. Sie ist sich fremd, wenn sie in den Spiegel schaut. Sie geht auf die 60 zu, spürt ihr Alter, lebt allein – und wenn die Nerven mit ihr durchgehen, dann bellt sie auch mal.
Das Buch
Friedrich Ani: Letzte Ehre. Roman. Suhrkamp, Berlin 2021. 272 S., 22 Euro.
Zu einem sich regelmäßig treffenden Freundinnenkreis gehört Kiosk-Pächterin Catrin Hagen. Gerade hat sie den Freundinnen gegenüber angedeutet, einen Geliebten zu haben, da bleibt ihr Wasserhäuschen eines Morgens geschlossen, findet sie ihr Mann, Polizist, schwer verletzt zu Hause. Undenkbar, dass Nasri den Täter nicht findet, undenkbar, dass sie wegen Befangenheit die anderen machen lässt. Einem Typen – weiße Kapuzenjacke, schwarze Haare im Dutt getragen –, der um den Kiosk schleicht, rennt sie persönlich hinterher.
Dann ist da Ines Kaltwasser, gescheiterte Schauspielerin, Stimme verloren einst, nun unscheinbar, einsam, auch schon über 60; aber dann schlägt sie nicht irgendwem, sondern dem verdächtigen Stephan Barig in einer Kneipe unvermittelt ins Gesicht. Und dieser Großsprecher und Frauenverächter spielt das so runter, dass Nasri umso mehr herauskriegen will, wie es zu der Ohrfeige kam.
„Stacheliger Nieselregen.“ Zwei Wörter nur braucht Friedrich Ani, so dass man meint, nicht nur ein bestimmtes Wetter, sondern die Atmosphäre des Buches auf der Haut zu fühlen. Stacheliger Nieselregen im übertragenen Sinn, all die Gewalt und die Übergriffe aktueller und vergangener Zeiten treiben Fariza Nasri in die Erschöpfung. Es gibt keine Unversehrten in dieser Geschichte, Verletzungen körperlicher und seelischer Art ziehen sich auf bestürzende Art durch die Frauenleben, von denen Friedrich Ani diesmal erzählt.
Ein Zorn muss ihn angetrieben haben. Zu einem Roman, der sein vielleicht düsterster und beunruhigendster ist, denn die Männer darin werden sich nicht ändern.