Der fremde Gott

Karl Barths „Römerbrief“ von 1922 hat Geistesgeschichte geschrieben - und zwar nicht nur in der Theologie. Sein Werk hat das philosophische Denken insgesamt verändert. Jetzt ist eine kommentierte Neuauflage erschienen.
Es gibt wenige Bücher der Theologenzunft im 20. Jahrhundert, die nicht nur Theologiefachgeschichte geschrieben, sondern das philosophische Denken geprägt, auch verändert haben. Eine der bedeutendsten Ausnahmen: Karl Barths „Der Römerbrief“, Pflichtlektüre für jeden ernstzunehmenden Philosophen, für Theologen und an Glaubensfragen Interessierte sowieso.
Barth war evangelischer Pfarrer in Safenwil, einer kleinen Gemeinde im Schweizer Kanton Aargau, als 1919 die erste Auflage seines Kommentars zum „Römerbrief“ des Paulus erschien. Das Buch schlug, so ein damaliger Rezensent, wie „eine Bombe auf dem Spielplatz der Theologen ein“. Rasch hat sich eine Barth-Gemeinde gebildet, schnell waren Kritiker zur Stelle. Der einflussreichste: der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack. Der härteste: Barth selbst; das Buch kam ihm zu „schloddrig“ vor. Er schrieb eine zweite Fassung, und sie ist es, die Geistesgeschichte gemacht hat; 16 Auflagen erschienen bis heute, fast 50?000 Exemplare wurden verkauft. Jetzt ist sie, endlich, im Rahmen der Barth-Gesamtausgabe in hervorragend kommentierter Ausgabe zu haben.
Einsicht in die desolate Situation des gottfreien Menschen
Mit ihm lässt sich bestens studieren, wie Barth nach einem „neuen Verhältnis zwischen europäischer Kultur und christlichem Gottesglauben“ sucht. Der christliche Gott ist für ihn kein Statthalter (abendländischer) Werte, sondern der „ganz Andere“, eine Zumutung im Grunde und gerade darin Hoffnung und Fluchtpunkt des Glaubenden. Anders als die liberale Theologie ist Religion hier keine Instanz der Gotteserkenntnis, sie dient vielmehr zur Einsicht in die desolate Situation des gottfreien Menschen. Karl Barths „Römerbrief“: Pflichtlektüre auch für alle, die den christlichen Gott zum guten Werte-Onkel kleinrechnen.
Karl Barth: Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922. Hrsg. von Cornelius van der Kooi, Katja Tolstaja. Theologischer Verlag Zürich 2011. 784 Seiten, 125 Euro.