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Frédéric Schwilden: „Toxic Man“ – Gift in ihm und um ihn

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Von: Ulrich Seidler

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Der Autor Frédéric Schwilden. Foto: Amely Deiss/Piper Verlag
Der Autor Frédéric Schwilden. © Amely Deiss/Piper Verlag

„Toxic Man“: Frédéric Schwilden bietet in seinem Romandebüt exhibitionistische Unerschrockenheit und bedient gute alte Popliteratur-Traditionen.

Das Gift in dem Titel von Frédéric Schwildens Romandebüt streut weit und kriecht tief. Zuerst ist „Toxic Man“ ein durchaus nützlicher, aber auch etwas abgegriffener Modebegriff und das nicht nur in den Debatten über Geschlechterklischees. Keine soziologische Gesellschaftsbeschreibung und kein Feuilletonbeitrag kommen ohne „toxische Männlichkeit“ aus.

Der trendbewusste und popkulturell geschulte Schwilden nimmt mit diesem Vokabular Anlauf, lässt seinen Toxic Man als einen „gescheiterten Superhelden“ Flugversuche unternehmen und immer wieder abstürzen: „Ein Mensch, dessen Superkraft darin besteht, Gift zu sein. Der keine Nähe zulässt, weil er andere durch seine Präsenz vergiftet. Wie Midas. Nur anders.“ Das Gift bekommt aber in dem Roman auch eine sehr direkte Komponente: Neben Bier zu jeder Uhrzeit schüttet der Protagonist alle anderen Formen von Alkohol in sich hinein, er ballert sich vollkommen unerschrocken mit Kokain, Crystal und Ketamin weg und geht am Ende des Buches relativ folgerichtig zu Psychopharmaka über, vor deren persönlichkeitsverändernder Wirkung der Drogenkarrierist ironischerweise Angst hat.

Frédéric Helmut Johannes Schwilden schreibt über sich selbst, er macht sich nackt, wie man so sagt, lässt Leser und Leserin via Spiegel auch am Zustand seines Afterschließmuskels teilhaben, der von Hämorrhoiden und einer halben Vergewaltigung in Mitleidenschaft gezogen wurde. Auch charakterlich lässt er tief blicken, zeigt sich als narzisstischer, depressiver Choleriker, der seinen Vater auf dem Sterbebett fotografiert und das Bild zum Catcher seiner bisher größten Ausstellung erwählt, diese nämlich ist es, die „Toxic Man“ heißen soll, und gemeint ist der titelgebende Tote, der Vater, ein Mediziner, Alkoholiker und brutaler Patriarch, der die Schwester in den Keller sperrt und auch Druck auf Frédéric ausübt, ihn runterputzt und ihm Angst einjagt.

Wie viel genau dran ist an den Eskapaden, Krisen und Ausbrüchen, lässt sich schwer sagen. Schwildens exhibitionistische Unerschrockenheit wird zumindest ein wenig konterkariert und gemildert durch seinen gestaltungsfreudigen Umgang mit der Wahrheit: „Ich finde Wahrheit uninteressant. Weil sie absolut unpoetisch ist. Der Wahrheit liegt kein künstlerisches Bewusstsein, keine Schöpfungshöhe zugrunde. Die Wahrheit ist gedankenlos. Deswegen finde ich, kann doch jeder seine eigene haben. Ist doch viel interessanter.“ Man kann sich also aussuchen, für wie authentisch man das Geschriebene halten darf. Und das gilt doch, wenn man sich denn ein Stück weit identifizieren will, auch für das Selbsterlebte.

Schwilden ist 1988 in Bonn geboren und in der Fränkischen Schweiz aufgewachsen, er hat als Fotograf gearbeitet und sich mit recht schrillen Porträts von Politikern und Popstars einen Namen gemacht. Er schreibt Kolumnen für die Tageszeitung „Die Welt“ und ist ein Partygast, mit dem man punkten kann. Er trägt farbenfrohe und kostspielige Gegen-den-Strich-Outfits von ausgesuchten Designern (er würde an dieser Formulierung sofort merken, wie unbeleckt der Kritiker in diesen Dingen ist) und erwirkt durch sein Auftreten und durch die Drogen, die er mitbringt, so etwas wie memorable Erlebnisse, wenn denn die Nächte nicht in einem Blackout verschwinden.

Leider geht es ihm bei allem nicht gut. Auch wenn er auf bierernst gemeinte Weise heiratet und Vater wird, helfen ihm diese bürgerlichen Positionierungen wenig dabei, Boden unter die Füße zu kriegen. Der Tod seines Vaters löst auf der Oberfläche keine Emotionen aus, er glaubt, eher „aus Höflichkeit“ zu weinen und den Tod in sein konsumistisches Wohlfühlprogramm integrieren zu können: „Der Tod meines Vaters ist, und ich meine das wirklich nicht bösartig, gut für mich. Ich fühle mich nicht mehr so schwer, seit er tot ist. Mein Kopf ist leichter.“

Das Buch

Frédéric Schwilden: Toxic Man. Roman. Piper Verlag, München 2023, 288 Seiten, 22 Euro.

Das alles weckt beim Lesen natürlich elterliche Gefühle und appelliert an tief sitzende Fürsorgeinstinkte. Gedämpft werden sie, wenn Schwilden sehr breitbeinig zu leitartikeln beginnt, sich über die heutige junge Generation mokiert, mehr Mut zum Ja fordert, weil ein Nein für Unreife spreche. Er treibt seine Thesen gern ins Steile, Zynische und Absurde – so lasse das Ja zum Heroin auf Charakterstärke schließen, weil es eine Entscheidung für ein Leben als Junkie sei und mithin mindestens so irreversibel wie das Jawort bei einer Hochzeit.

Wir ahnen, was kommt, wenn eine tiefere Reflexion seiner toxischen Bindungsprägung unterbleibt: Die Muster wiederholen sich. Und in der Tat möchte man bald Frédérics Sohn in Schutz vor Frédéric nehmen. Schon der Name: Edward.

Mit temporeichem Fluff ist das Ganze formuliert, Schwilden unterwandert den eigenen Zynismus und führt ihn mit Freude an Pointen und an der Angeberei vor: Wir dürfen mit ins Grill Royal, ins Borchardt, in die Galerie König und nach Sizilien, schlabbern Austern und Champagner, erfahren, wen Schwilden schon so vor der Linse hatte, etwa Billie Eilish und den ehemaligen Gesundheitsminister Jens, in dessen Luxusvilla es heiß herzugehen scheint (und die er im echten Leben nun mit Verlust verkauft hat).

Immer wieder reißt die Coolness und Abgefucktheit, landet der Autor auf dem Gesicht, weiß aber, dass er mit diesen Bruchlandungen Wirkung erzielt und zwar besonders dann, wenn er die Kontrolle aufgibt und zwischen Pizzakartons und Alkoholflaschen versifft, sein Baby in den Pool schmeißt oder im Bett weint.

Man kann sich dem Selbstdarstellercharme dieses wohlstandsverwahrlosten Schnösels dennoch kaum entziehen, folgt ihm in seinem Widerspruchsgeist gegen den Konsens der linksgrünen Medien-Peergroup, nimmt ihm seine Eigentlichheitsposen in dem Wissen ab, dass er reflektiert genug sein müsste, um so langsam erwachsen zu werden, und wünscht ihm Glück bei der Entgiftung – im übertragenen und im buchstäblichen Sinn.

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