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Franz Mon: Wörter haben langen Beine

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Von: Björn Hayer

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Franz Mon in seinem Garten. Foto: Alex Kraus
Franz Mon in seinem Garten. © Alex Kraus

Gegen die ideologische Vereinnahmung setzte er das Prinzip der Autonomie. Ein Nachruf auf den Mitbegründer der ‚konkreten Poesie‘.

Der Sprache darf man nicht trauen. Sie kann genauso verführen wie manipulieren. Von dieser Erfahrung wussten insbesondere die Nachkriegsautorinnen und -autoren zu berichten, die noch ganz die schaurig-mitreißende Goebbels-Rhetorik im Ohr hatten. Der Dichter Franz Mon, der am vergangenen Freitag im Alter von 96 Jahren verstarb, bewahrte sich daher eine Skepsis gegenüber der trügerischen Wirkung von Wörtern, eine seiner berühmten „worttaktik[en]“ veranschaulicht: „versuche, dich an alle namen zu erinnern, die je für dich verwendet wurden, denen du irgendwann / einmal ausgesetzt warst, die du dir selbst einmal ausgedacht hast, die du den tatsächlich benutzten / namen vorgezogen hättest; die sich als täuschungen erwiesen haben“.

Über den Haufen geworfen

Und weil die Nazis genau erkannt hatten, wie man mit der emotionsgeladenen Rede die Massen lenken kann, setzt der 1926 geborene Urfrankfurter auf das Prinzip der Zertrümmerung. Inspiriert von den Surrealisten und dem automatischen Schreiben, das spontane Eindrücke direkt auf das Blatt bannt, unterlaufen Mons Gedichte auf den ersten Blick jedweden Sinnzusammenhang. Grammatik, Satzbau, konventionelle Bedeutungen von Begriffen – alles wird über den Haufen geworfen.

Statt von einem sich selbst wichtig nehmenden Dichterfürsten arrangiert, erinnern seine Verse eher an eigenständige, unkontrollierbare Wesen: „pockennarbige wörter / kitzeln mir den gaumen / salzwasserwörter / fahren mir an die gurgel“.

Gewidmet hat der promovierte Germanist diese Zeilen übrigens der österreichischen Poetin Friederike Mayröcker. Mit ihr, Ernst Jandl und Eugen Gomringer zählt Mon zu den Wegbereitern der sogenannten „konkreten Poesie“, die mit Sinn für lautmalerische und visuelle Darstellungsweisen sämtliche Gattungsgrenzen aufbrach. Seien es Hörspiele mit irritierenden Silbenbetonungen oder Textbilder und Collagen – all diese Experimente hat der Autor seit seinem Debüt „artikulationen“ (1959) unternommen.

Zu den bedeutendsten Werken des auch als Lektor wirkenden Poeten zählt sicherlich der Band „herzzero“ (1968). Verfasst ist das Buch in zwei nebeneinander herlaufenden Spalten. Über den richtigen Umgang mit dieser damals innovativen Form geben die Vorbemerkungen Aufschluss. Sie laden dazu ein, mit Stiften beispielsweise sinnvolle Verbindungen zwischen Formulierungen herzustellen oder gar manches durchzustreichen. Doch Vorsicht, denn Schelm, wie Mon war, ließ er vermeintliche Ordnung nur zu, um sie zugleich wieder infragezustellen. So gipfelt die Textsammlung in einem herrlich abstrusen Flickwerk aus Phrasen und Volksweisheiten: „zu ziehen / haben lange beine / einen bessren findst du nit / wie ein ruf von donnerhall / wie man reinschreit / wie ein held / wie nicht recht gescheit“. Losgelöst aus ihren ursprünglichen Kontexten, sind die Wendungen nun frei. Die Zeichen werden autonom, vieldeutig und folgen keinem zweckmäßigen Einsatz mehr.

Dies darf jedoch nicht mit Relativismus verwechselt werden. Wenn der Lyriker etwa in einem Text aus dem Band „fallen stellen. texte aus mehr als elf Jahren“ von 1981 schreibt „afghanistan: ist nur ein wort“, so ruft diese scheinbar lapidare Wendung doch einen ganzen politischen Hintergrund auf. Nur legt sich Mon in solcherlei anspielungsreichen Kompositionen nicht fest. Vielmehr hält er alles in der Schwebe, lotet Ambivalenzen aus, sucht immer wieder das Spiel mit der Leserschaft, stets mit kulturkritischer Ironie und dem Schalk im Nacken.

Er wollte, dass seine Texte unendlich viele Lektürewege eröffnen. Gerade diese Offenheit hält nun auch sein Schreiben weiterhin lebendig.

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