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Friedenspreis: Schmeichelnde Worte von Obamas Halbschwester – und ein denkwürdiger Auftritt

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Von: Julian Dorn

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Tsitsi Dangarembga (vorne, l) und OB Peter Feldmann (SPD, r)
Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga (vorne, links) und Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD, vorne rechts). © Thomas Lohnes/epd-Pool/dpa

In Frankfurt erhält Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe den Friedenspreis. Doch die Verleihung verläuft ganz anders als geplant.

Frankfurt – Da nützte auch Peter Feldmanns dezenter Widerstand nichts mehr: Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt begann anders als gewöhnlich. Denn statt der diesjährigen Preisträgerin Tsitsi Dangarembga stand zu Beginn plötzlich eine andere Frau im Mittelpunkt – und auf der Bühne: Mirrianne Mahn, die städtische Referentin für Diversitätsentwicklung, stürmte, wohl spontan, das Red­nerpult in der Paulskirche, unterbrach Oberbürgermeister Feldmann bei seiner Begrüßungsrede und übernahm kurzerhand das Wort. Zu sehen war das alles live im ZDF.

Es folgte keine Laudatio auf die Preisträgerin, sondern ein flammendes Plädoyer zu einem ganz anderen Thema: rechte Verlage auf der Buchmesse in Frankfurt. „Das Paradox ist, dass wir hier in der Paulskirche, der Wiege der Demokratie, einer schwarzen Frau den Friedenspreis verleihen, aber schwarze Frauen auf genau dieser Buchmesse nicht willkommen waren“, sagte Grünen-Politikerin Mahn. „Und ich sage ganz klar ‚nicht willkommen waren‘, weil nicht dafür gesorgt wurde, dass sie sich sicher fühlen.“

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt: Grünen-Politikerin stürmt Bühne

Rechtsradikale Ideologien seien keine Meinung und dürften nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein. Wenn Rechtsradikalen eine Plattform gegeben werde, „dann beteiligen wir uns aktiv an dem nächsten Hanau“, meinte Mahn. In Hanau hatte im Februar 2020 ein rassistischer Attentäter neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen.

Verleihung Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Mirrianne Mahn (Die Grünen), Referentin für Diversitätsentwicklung, unterbricht Peter Feldmann (SPD), Oberbürgermeister von Frankfurt, bei dessen Rede und äußert sich über ihre Ängste bezüglich Rassismus und rechten Tendenzen. © Thomas Lohnes/dpa

Frankfurts Oberbürgermeister (SPD) war vor Mahns Auftritt ebenfalls auf die Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit bei der diesjährigen Buchmesse eingegangen. Es mache ihm „große Sorgen, wenn ich lese, dass Autorinnen Angst haben, nach Frankfurt zu fahren, weil sie hier auf rechtsradikale Verlage und Autoren treffen könnten“. Zunächst hatte Jasmina Kuhnke ihren Messeauftritt wegen der Anwesenheit des rechten Jungeuropa-Verlags abgesagt. Später folgten weitere Autorinnen und Autoren.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt: Laudatio von Obamas Halbschwester

Nach dem ungewöhnlichen Auftakt fand die Preisverleihung dann aber wieder in ihren gewohnten Rahmen – und zur eigentlichen Hauptperson zurück: Tsitsi Dangarembga, die vor über 60 Jahren im damaligen Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, geboren wurde. Die Autorin und Filmemacherin setzt sich in ihren Büchern und Filmen, aber auch auf der Straße für Gerechtigkeit ein und prangert Missstände an. Dafür, aber auch für ihr Erzählen und ihren universellen Blick, wurde sie nun ausgezeichnet.

Die emotionale Laudatio hielt die kenianische Germanistin und Soziologin Auma Obama, Halbschwester des früheren US-Präsidenten Barack Obama. „Du bist nicht gewöhnlich, ein gewöhnliches Leben war keine Option für Dich“, sagte sie über ihre langjährige Freundin Dangarembga vor rund 400 Gästen. Und sie ergänzt: „Du bist eine der erfolgreichsten und wichtigsten Stimmen auf dem afrikanischen Kontinent und hoffentlich bald mit dem Preis weltweit.“ Gegen viele Widerstände erhebe Dangarembga mit ihrem Werk „die Stimme für die Stimmlosen“ , sagte die kenianische Journalistin und Autorin Obama.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt: Dangarembga beschreibt eindrücklich Folgen des Kolonialismus

In ihrer Dankesrede beschrieb Dangarembga dann eindrücklich die Eroberung ihrer Heimat Simbabwe durch britische Siedler und die Gewalt, die der Kolonialismus mit sich gebracht hat und noch immer bringt. Auch nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von Großbritannien durch britische Siedler 1965 seien neue Formen ethnisch determinierter Gewalt angewandt worden, so etwa die Zwangssterilisation schwarzer Frauen. „Simbabwe war schon immer ein gewalttätiger und repressiver Staat“, sagte die Friedenspreisträgerin.

„Der größere Teil der Welt hat die facettenreiche Gewalt des westlichen Imperiums erlitten.“ Dangarembga zufolge hat der Kolonialismus dramatische Auswirkungen und ist bis heute für Leid verantwortlich, in beiden Teilen der Erde. Es sei nicht überraschend, „dass Gewalt, physische, psychologische, politische, ökonomische, metaphysische und genozidale, zu oft in postkolonialen Ländern an der Tagesordnung ist.“ Sie wurzele in den Strukturen des westlichen Imperiums, ist sie überzeugt.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt: Preisträgerin Dangarembga als „weithin hörbare Stimme Afrikas“

Diese teils dramatischen Zustände verdeutlicht die Autorin in ihrem Werk. Die 62-Jährige habe es geschafft, „uns eine Gesellschaft so nahezubringen, dass sie uns zwar nicht restlos verständlich wird, wir sie aber auf uns beziehen können, auf uns und unsere eigenen Unzulänglichkeiten“, sagte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs. Dangarembga sei „eine weithin hörbare Stimme Afrikas in der Gegenwartsliteratur.“

Der Preis

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist mit 25.000 Euro dotiert. Geehrt werden Persönlichkeiten, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 vergeben.

Zudem kämpft Dangarembga, die im Nordosten von Simbabwe geboren wurde, für Freiheits- und Frauenrechte sowie für die politische Veränderung im patriarchalischen System ihres Heimatlandes. Weil sie sich gegen Korruption engagiert, steht sie dort sogar vor Gericht.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt: Preisträgerin Dangarembga kämpft gegen Korruption in Simbabwe

Die Preisträgerin und ihr Oeuvre

Tsitsi Dangarembga, geboren am 14. Februar 1959 in Mutoko/Simbabwe, veröffentlichte 1988 ihren gefeierten Debüt-Roman „Nervous Conditions“ als ersten Teil einer autobiografisch geprägten Trilogie. Von 1989 bis 1996 studierte sie in Berlin Filmregie und kehrte später mit ihrem deutschen Mann nach Simbabwe zurück. Sie hat drei Kinder.

In ihrer Romantrilogie „This Mournable Body“, „The Book of Not“ und „Nervous Conditions“ beschreibt Dangarembga am Beispiel einer heranwachsenden Frau den Kampf um das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und weibliche Selbstbestimmung in Simbabwe.

Dabei zeigt die studierte Psychologin soziale und moralische Konflikte auf, „die weit über den regionalen Bezug hinausgehen und Resonanzräume für globale Gerechtigkeitsfragen eröffnen“, so die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Schmidt-Friderichs. In ihren Filmen thematisiere sie Probleme, die durch das Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne entstehen.

An Preisträgerin Dangarembga ging der Auftritt von Grünen-Politikerin Mahn am Anfang der Veranstaltung wohl nicht spurlos vorbei. Sie ging in ihrer Dankesrede jedenfalls auf das Thema ein. Rassismus sei verantwortlich für einen großen Teil der Gewalt, die sich Menschen gegenseitig antun, sagte die Friedenspreisträgerin. Das Wissen und die Erkenntnisse der vergangenen Jahrhunderte hätten kein friedliches Zusammenleben der Menschen erreicht. Auch zur Rassismusdebatte in Deutschland äußerte sich Dangarembga: Wer ein Fürsprecher des „N-Worts“ sei, betone auch dessen gewaltsame Natur.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt: Dangarembga fordert neue Denkmuster

Dangarembga appellierte in ihrer Dankesrede an das Publikum, „eine neue Aufklärung“ zu wagen, um ein friedvolles Zusammenleben der Menschheit zu erreichen. Das durch westlichen Kolonialismus und Imperialismus in die Welt getragene, rassistische Denken müsse abgestreift und ein ausbeuterisches Weltwirtschaftssystem überwunden werden, meinte Dangarembga.

Die Schriftstellerin rief dazu auf, alte Muster zu überwinden, auch mit Hilfe von Sprache. „Was wir tun können, ist, unsere Denkmuster zu verändern, Wort für Wort, bewusst und beständig, und daran festzuhalten, bis wir Ergebnisse sehen.“ (Julian Dorn mit Material von dpa/KNA/epd)

Die Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels der vergangenen Jahre sind:

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